Leben und Schicksal
Menschenmaterial, Menschenmaterial.
Einige Male hatte er auch erlebt, dass Menschenmaterial nicht aus Gründen der Rückversicherung oder der formalen Befehlserfüllung ins Feuer geschickt wurde, sondern aus Übereifer oder Sturheit. Der geheime Schlüssel zum Krieg, zu seinem tragischen Wesen lag in der Tatsache, dass hier ein Mensch das Recht hatte, einen anderen in den Tod zu schicken. Dieses Recht beruhte auf der stillschweigenden Vereinbarung, dass die Männer für die gemeinsame Sache ins Feuer gingen.
Ein Bekannter Nowikows, ein nüchterner, vernünftiger Kommandeur, der auf einem vorgeschobenen Beobachtungsposten stand, hatte von seiner Gewohnheit, täglich frische Milch zu trinken, nicht lassen wollen. So hatte ihm jeden Morgen ein Soldat aus der zweiten Linie unter feindlichem Beschuss eine Thermosflasche voll Milch bringen müssen. Es kam vor, dass die Deutschen den Soldaten töteten, dann blieb der Bekannte Nowikows, ein guter Mensch, ohne Milch. Aber am folgenden Tag brachte ein anderer Melder unter Beschuss die Thermoskanne mit Milch, und der gute, gerechte und stets um seine Untergebenen besorgte Mann, den seine Soldaten »Vater« nannten, hatte seelenruhig seine Milch getrunken. Da sollte sich einer auskennen!
Bald kam Neudobnow, um ihn abzuholen, und Nowikow, der sich eilig, aber mit aller Sorgfalt vor dem Spiegel kämmte, sagte »Ja, Genosse General, es ist doch eine grausige Sache, der Krieg! Haben Sie gesehen? Jetzt schicken sie schon Kinder zur Verstärkung los.«
Neudobnow pflichtete ihm bei: »Ja, wertlose Kader. Rotznasen. Ich hab diesen Begleitposten geweckt, hab ihm das Strafbataillon angedroht; lässt der die doch einfach so rumtoben, als wären wir nicht im Krieg, sondern auf dem Rummelplatz.«
In den Romanen Turgenjews wird manchmal beschrieben, wie Nachbarn einen neu zugezogenen Gutsbesitzer zum ersten Mal besuchen. An diese Beschreibung musste Nowikow denken, als in der Dunkelheit zwei Wagen vorfuhren und sie als Gastgeber vor die Tür traten, um die Gäste zu begrüßen: Den Kommandeur der Artilleriedivision, den Kommandeur des Haubitzenregiments und den Kommandeur der Raketenwerferbrigade.
»… Reichen Sie mir die Hand, verehrter Leser, und begleiten Sie mich zu Tatjana Borissowna, meiner Nachbarin …«
Der Artillerieoberst und Divisionskommandeur war Nowikow aus Fronterzählungen und Stabsberichten bekannt – er hatte sich sogar schon eine feste Vorstellung von ihm gemacht: rotes Gesicht, runder Kopf. Doch es zeigte sich natürlich –, dass er ein älterer, gebeugter Mann war.
Es schien, als seien seine vergnügten Augen fälschlich in dieses mürrische Gesicht geraten, und dann wieder lachten diese Augen so weise, dass es schien, als machten eben sie, die Augen, das Wesen des Obersten aus, während sich die Falten und der müde, gebeugte Rücken nur durch Zufall mit ihnen verbunden hätten.
Lopatin, den Kommandeur des Haubitzenregiments, konnte man für den Sohn oder sogar für den Enkel des Divisionskommandeurs halten.
Der Kommandeur der Raketenwerferbrigade, Magid, war ein wettergebräunter Mann mit schwarzem Schnurrbart über vorstehender Oberlippe und einer hohen Stirn infolge einer Glatze, die nicht zu seinem Alter passte. Er erwies sich als scharfzüngig und redselig.
Nowikow bat die Gäste in die Stube, wo der Tisch bereits zu ihrem Empfang gedeckt war.
»Ein Gruß aus dem Ural, bitte sehr«, sagte er und wies auf die Schälchen mit eingelegten Pilzen.
Der Koch, der in malerischer Pose neben dem gedeckten Tisch Aufstellung genommen hatte, lief rot an, ächzte und schlich sich davon – seine Nerven hielten die Anspannung nicht aus.
Werschkow neigte sich zu Nowikows Ohr und flüsterte etwas, auf den Tisch zeigend.
»Natürlich, nur her damit, wozu haben wir ihn denn«, ermunterte ihn Nowikow.
Der Kommandeur der Artilleriedivision, Morosow, legte den Finger an sein Glas, etwa in Höhe des unteren Viertels, und sagte: »Ja nicht mehr, meine Leber.«
»Und Sie, Oberstleutnant?«
»Nur zu, meine Leber ist in Ordnung, machen Sie nur voll.«
»Unser Magid ist Kosake.«
»Und wie steht’s mit Ihrer Leber, Major?«
Der Kommandeur des Haubitzenregiments, Lopatin, legte seine Hand über das Glas und sagte: »Danke, ich trinke nicht«, und die Hand wegziehend, fügte er hinzu: »Nur einen symbolischen Tropfen, zum Anstoßen, bitte.«
»Lopatin ist Vorschüler; er liebt nur Süßes«, sagte Magid.
Sie tranken auf den Erfolg der gemeinsamen Arbeit. Dabei stellte
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