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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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Wolken heißen Rauches aus.
    Es waren offenbar zwei Freunde. Ein Gefühl verband sie, wie es wahre Freundschaften kennzeichnet, die Überzeugung nämlich, dass jede Kleinigkeit, die sich im Leben des einen ereignet, für den anderen bedeutsam und interessant ist.
    »Und dann?«, fragte der eine etwas spöttisch und eher gleichgültig.
    Der andere antwortete ärgerlich: »Und dann und dann! Als ob du das nicht selbst wüsstest! Und dann taten dem Mann die Füße weh, er konnte in diesen Stiefeln gar nicht laufen.«
    »Und weiter?«
    »Na, er behielt sie trotzdem an, konnte ja nicht barfuß gehen.«
    »Aha, er hat also die Stiefel nicht hergegeben«, sagte der Erste nun wieder, und aus seiner Stimme waren Spott und Gleichgültigkeit verschwunden. Er war voller Interesse für das Ereignis.
    Dann sprachen sie von zu Hause.
    »Was die Frau schreibt? Ach, dies gibt’s nicht und das gibt’s nicht; mal ist der Junge krank, mal das Mädchen. Na, was die Frauen eben so schreiben, du weißt schon.«
    »Meine schreibt genauso: Ihr an der Front, schreibt sie, ihr werdet wenigstens gut verpflegt, aber wir hier, wir kommen noch um vor lauter Versorgungsschwierigkeiten.«
    »Weiberverstand«, sagte der Erste. »Da sitzt sie in ihrem tiefen Hinterland und kann gar nicht begreifen, wie’s an der Front zugeht. Von wegen Verpflegung!«
    »Genau«, pflichtete ihm der Freund bei, »kaum kriegt sie mal kein Petroleum, schon glaubt sie, dass es nichts Schlimmeres auf der Welt geben könnte.«
    »Klar, es ist ja auch schwerer, Schlange zu stehen, als sich in diesem Sand hier mit Brandflaschen die Panzer vom Leib zu halten.«
    Er sprach von Panzern und Brandflaschen, obwohl er und sein Freund wussten, dass die Deutschen kein einziges Mal hier Panzer eingesetzt hatten.
    Ohne in der nächtlichen Wüste der alten Frage weiter nachzugehen, wer es denn nun schwerer hätte im Leben, Mann oder Frau, meinte der eine nun zögernd: »Meine ist übrigens krank, sie hat irgendwas an der Wirbelsäule; wenn sie was Schweres hebt, liegt sie gleich eine Woche flach.«
    Wieder wechselten sie scheinbar das Thema und begannen davon zu reden, wie trostlos und öde diese Wüste sei.
    Dann sagte der, der näher bei Darenski lag: »Meinst du vielleicht, die wüsste, wie gefährlich es hier ist? Das begreift die einfach nicht.«
    Und der erste Artillerist, der offenbar etwas von den bösen Worten, die er über die Soldatenfrauen gesagt hatte, zurücknehmen wollte, aber nicht zu viel, fügte hinzu: »Pure Dummheit ist das, nichts weiter.«
    Dann rauchten sie schweigend ein Weilchen, unterhielten sich darüber, wie sicher Rasierklingen und wie gefährlich Rasiermesser seien, über die neue Militärjacke des Batteriekommandeurs, darüber, dass es ganz egal sei, wie schwer sie es hätten, denn leben wollten sie doch.
    »Sieh doch nur, was für eine Nacht, weißt du, als ich noch in der Schule war, habe ich so ein Bild gesehen: Der Mond steht über dem Feld, und ringsum liegen die erschlagenen Helden.«
    »Was ist da für eine Ähnlichkeit?«, sagte der andere lachend, »Das waren Helden, aber wir? Wir sind wie die Spatzen, wie die Kälber sind wir.«
    60
    Die tiefe Stille wurde jäh unterbrochen. Darenski hörte rechts von sich eine Explosion. »Hundertdrei Millimeter«, sagte ihm sein geübtes Ohr. In seinem Kopf überstürzten sich Gedanken, die immer auftauchten, wenn feindliche Minen und Granaten explodierten: »Zufall? Ein einzelner Schuss? Schießt er sich ein? Dass er uns nur nicht ins Kreuzfeuer nimmt! Oder ist es ein Feuerüberfall? Ein Panzerangriff?«
    Alle an den Krieg gewöhnten Männer horchten auf, dachten das Gleiche wie Darenski.
    Kampfgeübte Männer können aus Hunderten von Geräuschen das eine wirklich alarmierende heraushören. Sofort, egal womit ein Soldat gerade beschäftigt ist, ob er einen Löffel in der Hand hält oder sein Gewehr reinigt, ob er einen Brief schreibt, in der Nase bohrt, das Armeeblättchen liest oder in jene matte Gedankenlosigkeit versunken ist, die Soldaten manchmal in freien Minuten heimsucht – augenblicklich wendet er den Kopf und spitzt sein Ohr.
    Die Antwort ließ nicht auf sich warten. Einige Explosionen waren von rechts zu hören, dann von links, alles ringsum erzitterte, dröhnte, qualmte und geriet in Bewegung.
    Es war ein Feuerüberfall!
    Durch Rauch, Staub und Sand blitzte das Feuer der Explosionen, und aus dem Feuer der Explosionen erhob sich Qualm.
    Männer rannten, stürzten hin.
    Ein schrilles Pfeifen

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