Leben und Schicksal
Weichs, an das Oberkommando der Wehrmacht:
»Trotz der ungewöhnlichen Schwere des zu fassenden Entschlusses, dessen Tragweite mir voll bewusst ist, muss ich melden, dass ich die Zurücknahme der 6. Armee, die von General Paulus vorgeschlagen wurde, für notwendig halte …«
Der Generalstabschef der Landstreitkräfte, Generaloberst Zeitzier, mit dem von Weichs ununterbrochen in Verbindung stand, teilte voll und ganz die Ansichten von Weichs’ und Paulus’ über die Notwendigkeit, sich aus dem Gebiet von Stalingrad zurückzuziehen, und hielt es für unmöglich, die gewaltigen Truppenmengen, die in den Kessel geraten waren, aus der Luft zu versorgen.
Am 24. November um 2 Uhr nachts ließ Zeitzier von Weichs telefonisch mitteilen, es sei ihm endlich gelungen, Hitler zu überzeugen, dass Stalingrad aufgegeben werden müsse. Den Befehl über den Ausbruch der 6. Armee aus der Einkesselung werde Hitler am Morgen des 24. November erteilen.
Kurz nach 10 Uhr morgens wurde die einzige Telefonverbindung zwischen der Heeresgruppe B und der 6. Armee unterbrochen.
Hitlers Befehl über den Ausbruch aus dem Kessel wurde jeden Augenblick erwartet, und weil dann schnell gehandelt werden musste, beschloss Freiherr von Weichs, auf eigene Verantwortung einen Entlastungsangriff anzuordnen.
In dem Augenblick, als die Funker sich schon anschickten, von Weichs’ Befehl zu senden, hörte der Leiter der Heeresgruppenfunkstelle, wie aus dem Führerhauptquartier ein Funkspruch an General Paulus übermittelt wurde.
»Die 6. Armee ist vorübergehend von russischen Kräften eingeschlossen. Ich beabsichtige, die Armee im Raume Stalingrad Nord – Kotluban – Höhe 137 – Höhe 135 – Marinowka – Zybenko – Stalingrad Süd zusammenzufassen. Die Armee darf überzeugt sein, dass ich alles tun werde, um sie entsprechend zu versorgen und rechtzeitig zu entsetzen. Ich kenne die tapfere 6. Armee und ihren OB und weiß, dass sie ihre Pflicht tun wird. Gez. Adolf Hitler.«
Hitlers Wille, in dem nun der Untergang des Dritten Reiches beschlossen lag, wurde zum Schicksal der Stalingrader Paulus-Armee. Hitler schrieb eine neue Seite der deutschen Kriegsgeschichte – mit den Händen Paulus’, von Weichs’ und Zeitzlers, mit den Händen der deutschen Korps- und Regimentskommandeure, mit den Händen der Soldaten, all derer, die seinen Willen nicht erfüllen wollten und doch bis zum Ende erfüllten.
13
Nach hundertstündiger Schlacht war die Vereinigung der drei Fronten – Südwest, Don, Stalingrad – vollendet.
Unter dem düsteren Winterhimmel, im Schneegestöber begegneten sich die vorderen sowjetischen Panzerkompanien am Rande von Kalatsch. Die Weite der verschneiten Steppe war durch Hunderte von Panzerketten zerschnitten und von Explosionen versengt. Die schweren Fahrzeuge rasten durch die Schneewolken, weißer Staub flimmerte in der Luft. Dort, wo die Panzer besonders scharfe Kurven nahmen, stieg mit dem Schnee auch gefrorener Lehmstaub auf.
Von der Wolga her dröhnten im Tiefflug sowjetische Flugzeuge heran: Jäger und Bomber, welche die in die Bresche gestoßenen Panzerkolonnen unterstützten. Im Nordosten donnerten schwere Geschütze, und der rauchverhangene, finstere Himmel wurde ab und zu von fahlem Wetterleuchten erhellt.
An einem kleinen Holzhäuschen blieben zwei Panzer, zwei T-34, voreinander stehen. Die Panzerfahrer – verschmutzt, erregt vom Erfolg des Kampfes und der Nähe des Todes – atmeten geräuschvoll und genüsslich die frostige Luft ein, die sie nach der öligen und rauchigen Schwüle im Panzerinneren als besonders angenehm empfanden. Sie schoben die schwarzen Lederhelme von der Stirn, gingen ins Haus hinein, und dort zog der Panzerkommandeur, der vom Zaza-See kam, aus der Tasche seines Overalls eine Halbliterflasche Wodka hervor …
Die Frau des Hauses in einer wattierten Jacke und viel zu großen Filzstiefeln stellte Gläser auf den Tisch, die in ihren zittrigen Händen klirrten. Sie sagte schluchzend:
»Ach, wir dachten schon, das würden wir nicht überleben, als die Unseren mit dem Schießen anfingen. Zwei Tage und zwei Nächte hab ich im Keller gesessen.«
Zwei weitere Panzersoldaten, gedrungen und breitschultrig, gebaut wie Kreisel, traten in die Stube.
»Sieh mal, Walera, was für eine Bewirtung. Wir haben wohl auch einen Imbiss dabei«, sagte der Panzerkommandeur, der von der Don-Front kam. Walera holte aus der tiefen Tasche seines Kampfanzuges ein Stück geräucherter Wurst, das in ein fettiges
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