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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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seine Philosophie waren nur dann von Bedeutung, wurden nur dann zum Gegenstand der Forschung und Bewunderung für Millionen von Menschen, wenn der Staat siegte.
    Er wurde mit Jeremenko verbunden.
    »Na, was ist bei dir los?«, fragte Stalin grußlos. »Sind die Panzer schon im Einsatz?«
    Jeremenko hörte Stalins gereizte Stimme und drückte rasch seine Zigarette aus.
    »Nein, Genosse Stalin. Tolbuchin beendet gerade die Artillerievorbereitung. Die Infanterie hat das Vorfeld geräumt. Die Panzer sind noch nicht in die Bresche vorgestoßen.«
    Stalin fluchte unflätig und legte auf.
    Jeremenko zündete sich eine neue Zigarette an und rief den Befehlshaber der 51. Armee an.
    »Warum sind die Panzer noch nicht im Einsatz?«, fragte er.
    Tolbuchin hielt in einer Hand den Hörer, in der anderen ein großes Tuch, mit dem er sich den Schweiß von der Brust wischte.
    Sein Uniformrock war aufgeknöpft; die schweren Speckfalten am Halsansatz quollen aus dem offenen Kragen seines schneeweißen Hemdes.
    Seine Atemnot überwindend, antwortete er mit der Gelassenheit eines sehr beleibten Mannes, der nicht nur mit dem Verstand, sondern mit dem ganzen Körper begreift, dass Aufregung für ihn schädlich ist: »Der Kommandeur des Panzerkorps hat gerade gemeldet, dass auf der für die Panzer vorgesehenen Bewegungsachse noch einige Artilleriegeschütze des Gegners intakt sind. Er hat sich noch ein paar Minuten erbeten, damit diese letzten Batterien mit Artilleriefeuer ausgeschaltet werden können.«
    »Widerrufen!«, sagte Jeremenko schroff. »Sofort die Panzer in Bewegung setzen! In drei Minuten machen Sie mir Meldung!«
    »Zu Befehl!«, sagte Tolbuchin.
    Jeremenko hätte Tolbuchin am liebsten beschimpft, fragte jedoch plötzlich: »Warum atmen Sie so schwer? Sind Sie krank?«
    »Nein. Ich bin gesund, Andrej Iwanowitsch, habe gerade gefrühstückt.«
    »Handeln Sie«, sagte Jeremenko und fügte, nachdem er den Hörer aufgelegt hatte, hinzu: »Hat gerade gefrühstückt und kann nicht atmen.« Darauf stieß er mehrere bildkräftige Flüche aus.
    Als im Befehlsstand des Panzerkorps das Telefon klingelte, das wegen des neuen Artilleriefeuers schlecht zu hören war, begriff Nowikow, dass der Armeeoberbefehlshaber den sofortigen Panzereinsatz fordern würde.
    Nowikow hörte sich Tolbuchin an und dachte: »Hab ich’s doch geahnt.«
    Er antwortete: »Zu Befehl, Genosse Generalleutnant, wird gemacht.«
    Dann grinste er Getmanow an: »Trotzdem müsste man noch ungefähr vier Minuten feuern!«
    Drei Minuten später rief Tolbuchin wieder an; diesmal litt er nicht unter Atemnot.
    »Was ist, Genosse Oberst, machen Sie Witze? Wieso höre ich noch Artilleriefeuer? Führen Sie den Befehl aus!«
    Nowikow befahl dem Telefonisten, ihn mit dem Kommandeur des Artillerieregiments Lopatin zu verbinden. Er vernahm Lopatins Stimme, schwieg jedoch, während er den Sekundenzeiger verfolgte und die vorgesehene Zeit abwartete.
    »Der hat vielleicht Mut, mein lieber Schwan«, sagte Getmanow mit aufrichtiger Begeisterung.
    Und eine Minute später, als das Artilleriefeuer verstummte, setzte Nowikow die Funkkopfhörer auf und rief den Kommandeur der Panzerbrigade an, die als Erste in die Bresche gehen sollte.
    »Below!«, sagte er.
    »Ich höre, Genosse Korpskommandeur!«
    Nowikow verzog den Mund und schrie mit plötzlich trunken wilder Stimme: »Vorwärts, Below!«
    Der Nebel aus blauem Qualm wurde noch dichter, die Luft dröhnte vom Geheul der Motoren, das Korps stieß in die Bresche vor.
    12
    Die Befehlshaber der deutschen Heeresgruppe B erkannten die Ziele der sowjetischen Offensive, als am frühen Morgen des 20. November Artilleriesalven in der Kalmückensteppe erdröhnten, als die südlich von Stalingrad gelegenen Einheiten der Stalingrader Front zuschlugen und zum Angriff gegen die an der linken Flanke von Paulus stehende 4. rumänische Armee vorgingen.
    Das an der linken Flanke der sowjetischen Angriffsgruppe operierende Panzerkorps stieß in die Bresche zwischen den Seen Zaza und Barmanzak und strebte nach Nordwesten, in Richtung Kalatsch, den Panzer- und Kavalleriekorps der Don- und Südwestfront entgegen.
    In der zweiten Tageshälfte des 20. November erreichte der Verband, der von Serafimowitsch aus angegriffen hatte, die Gegend nördlich von Surowikino und bedrohte dadurch den Nachschub der Paulus-Armee.
    Aber die 6. Armee spürte die Gefahr der Einkesselung noch nicht. Um 18 Uhr abends hatte der Stab von Paulus dem Befehlshaber der Heeresgruppe B,

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