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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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überstehen. Aber sie wusste nicht, was sie für ihre eigene Seelenruhe benötigte. Wollte sie wissen, dass er aufgehört hatte, sie zu lieben, sich beruhigt und ihr verziehen hatte? Oder umgekehrt, wollte sie wissen, dass er sie liebte, untröstlich war und ihr nicht verzieh? Und was war für sie selbst besser? Die Gewissheit, dass ihre Trennung endgültig war, oder der Glaube im tiefsten Inneren, dass sie doch noch zusammenkommen würden?
    Wie viel Leid sie ihren Verwandten zugefügt hatte. Sollte sie all das am Ende nicht für das Wohl der anderen, sondern aus einer Laune nur für sich selbst getan haben? Intellektuelle Psychopathin!
    Am Abend, als Strum, Ljudmila und Nadja am Tisch saßen, fragte Genia plötzlich ihre Schwester: »Weißt du, was ich bin?«
    »Du?«, fragte Ljudmila verwundert.
    »Ja, ich«, sagte Genia. »Ich bin ein Miststück.«
    Da fingen plötzlich alle an zu lachen, obwohl sie wussten, dass Genia nicht nach Lachen zumute war.
    »Wisst ihr«, sagte Genia, »Limonow, der mich in Kuibyschew manchmal besuchte, hat mir einmal erklärt, was Liebe nach der ersten Liebe ist. Er bezeichnete sie als seelischen Vitaminmangel. Nehmen wir an, ein Ehemann lebt lange mit seiner Ehefrau zusammen, da entwickelt sich bei ihm ein seelischer Hunger, so wie bei einer Kuh, die Salzmangel hat, oder wie bei einem Polarforscher, der jahrelang kein frisches Gemüse bekommt. Ist die Ehefrau ein energischer, gebieterischer, starker Mensch, beginnt sich der Ehemann nach einer sanften, weichen, nachgiebigen, schüchternen Seele zu sehnen.«
    »Dein Limonow ist ein Idiot«, sagte Ljudmila Nikolajewna.
    »Und wenn der Mensch mehrere Vitamine braucht – A, B, C und E?«, fragte Nadja.
    Später, als man schon schlafen gehen wollte, sagte Viktor Pawlowitsch: »Genia, bei uns ist es üblich, die Intelligenzler wegen ihrer hamletartigen Zerrissenheit, ihrer Zweifel und ihrer Unentschlossenheit auszulachen. Ich habe selbst in meiner Jugend diese Charakterzüge an mir verachtet. Aber jetzt denke ich ganz anders: Den Unentschlossenen und Zweiflern verdankt die Menschheit alle großen Erfindungen, alle großen Bücher. Sie haben nicht weniger geschaffen als die, die stur geradeaus gehen. Sie würden, wenn es nötig wäre, auch auf den Scheiterhaufen oder durch einen Kugelhagel gehen – genauso wie die Willensstarken und Geradlinigen.«
    Genia Nikolajewna sagte: »Danke, Vitja, Sie beziehen sich wohl auf das Miststück?«
    »Genau«, sagte Viktor Pawlowitsch.
    Er wollte Genia etwas Nettes sagen.
    »Ich habe mir erneut Ihr Bild angeschaut, liebe Genia«, sagte er. »Mir gefällt, dass Gefühl darin liegt. Sonst besitzen die linken Maler ja nur Kühnheit und den Drang zu Neuerungen, aber keine Gefühle.«
    »Ja, Gefühle«, sagte Ljudmila Nikolajewna, »grüne Männer, blaue Häuser. Die totale Abkehr von der Wirklichkeit.«
    »Weißt du, Milka«, sagte Jewgenia Nikolajewna, »Matisse sagte: ›Wenn ich Grün nehme, bedeutet es nicht, dass ich Gras malen will, und wenn ich Blau nehme, heißt es noch nicht, dass ich den Himmel male.‹ Die Farbe drückt den inneren Zustand des Künstlers aus.«
    Und obwohl Strum Genia nur etwas Nettes hatte sagen wollen, konnte er sich die spöttische Bemerkung nicht verkneifen: »Eckermann schrieb: ›Wenn Goethe, gleich Gott, die Welt zu erschaffen hätte, schüfe er das Gras grün und den Himmel blau.‹ Diese Worte sagen mir viel, ich habe schließlich eine Beziehung zu dem Material, aus dem der Herr die Welt erschaffen hat … Allerdings weiß ich deswegen auch, dass es keine Farben gibt, sondern nur Atome und Raum zwischen den Atomen.«
    Zu solchen Gesprächen kam es selten, meistens sprach man über den Krieg, die Staatsanwaltschaft …
    Es waren schwere Tage. Genia bereitete sich darauf vor, nach Kuibyschew zurückzukehren – ihr Urlaub ging zu Ende.
    Sie hatte Angst vor der bevorstehenden Aussprache mit ihrem Chef, denn sie war eigenmächtig nach Moskau gefahren, hatte tagelang vor Gefängnistoren herumgelungert und Anträge an die Staatsanwaltschaft und den Volkskommissar des Inneren geschrieben.
    Ihr ganzes Leben lang hatte sie sich vor bürokratischen Institutionen und Bittgesuchen gefürchtet, und vor jeder Ausweisverlängerung war sie aufgeregt und schlief schlecht. Aber in der letzten Zeit schien das Schicksal es so zu wollen, dass sie andauernd mit Anmeldungen, Ausweisen, mit der Miliz und der Staatsanwaltschaft, mit Vorladungen und Anträgen zu tun hatte.
    In der Wohnung ihrer

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