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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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und Unabhängigkeit unseres Vaterlandes gefallen sind«, begann sie zu weinen.
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    Genia reiste ab, und im Hause Strum wurde es noch trauriger.
    Viktor Pawlowitsch saß stundenlang am Schreibtisch, verließ mehrere Tage hintereinander das Haus nicht. Er hatte Angst, auf der Straße jemandem zu begegnen, der ihm besonders feindselig gesinnt war und dessen mitleidslose Augen zu sehen.
    Das Telefon war verstummt, und wenn es doch ein- oder zweimal klingelte, sagte Ljudmila Nikolajewna: »Das ist für Nadja.« Und tatsächlich wurde Nadja an den Apparat verlangt.
    Strum hatte seine Lage in ihrer ganzen Schwere nicht gleich ermessen können. In den ersten Tagen war er sogar erleichtert gewesen, dass er in der häuslichen Stille inmitten seiner vertrauten Bücher sitzen durfte und keine feindlichen Gesichter sehen musste.
    Doch bald fing die Stille an, ihn zu bedrücken. Sie rief nicht nur Schwermut, sondern auch Alarmstimmung in ihm hervor. Was geschah im Labor? Wie ging die Arbeit voran? Was machte Markow? Der Gedanke, dass er im Labor gebraucht wurde, während er zu Hause saß, verursachte fieberhafte Unruhe. Aber genauso unerträglich war der entgegengesetzte Gedanke, dass man im Labor auch ohne ihn gut auskomme.
    Ljudmila Nikolajewna begegnete auf der Straße ihrer Freundin aus Evakuierungszeiten, Stoinikowa, die in der Akademieverwaltung arbeitete. Stoinikowa berichtete ihr ausführlich von der Sitzung des Wissenschaftsrats – sie hatte alles von Anfang bis Ende mitstenografiert.
    Das Wichtigste: Sokolow hatte nicht gesprochen! Er hatte es abgelehnt, obwohl Schischakow gesagt hatte: »Pjotr Lawrentjewitsch, wir möchten Sie hören. Sie haben viele Jahre mit Strum zusammengearbeitet.« Sokolow antwortete, er habe in der Nacht einen Herzanfall gehabt und es falle ihm schwer, jetzt zu reden.
    Seltsam, aber diese Nachricht freute Strum nicht.
    Im Namen des Labors hatte Markow gesprochen; er äußerte sich zurückhaltender als die anderen, brachte keine politischen Beschuldigungen vor, konzentrierte sich auf Strums schlechten Charakter, erwähnte aber sogar dessen Begabung.
    »Er musste ja reden, wurde bestimmt dazu verpflichtet, ist ja Parteimitglied«, sagte Strum. »Das darf man ihm nicht übelnehmen.«
    Aber die Mehrzahl der Erklärungen war abscheulich gewesen. Kowtschenko hatte über Strum gesprochen, als wäre der ein Gauner, ein Lump. Er hatte gesagt: »Dieser Strum geruht nicht zu erscheinen, ist völlig außer Rand und Band geraten, versteht unsere Sprache nicht mehr. Wir können auch anders mit ihm reden – offenbar will er es so.«
    Der grauhaarige Prassolow, der ehedem die Arbeit von Strum mit der von Lebedew verglichen hatte, hatte gesagt: »Menschen einer gewissen Sorte haben um Strums fragwürdige Theorien einen unanständigen Lärm gemacht.«
    Sehr hässlich hatte sich auch der Doktor der Physik, Gurewitsch, geäußert. Er gab zu, die Arbeit von Strum überbewertet zu haben, machte Andeutungen über die nationale Intoleranz von Viktor Pawlowitsch und sprach darüber, dass einer, der in der Politik ein Wirrkopf sei, dies unvermeidlich auch in der Wissenschaft wäre.
    Swetschin hatte an Strums Worte erinnert, dass es keine amerikanische, deutsche oder sowjetische Physik gebe, sondern nur die eine Physik.
    »So war’s«, sagte Strum. »Aber während einer öffentlichen Versammlung etwas auszuplaudern, was in einer privaten Unterhaltung gesagt wurde, das ist doch die reinste Denunziation.«
    Strum wunderte sich, dass Pimenow gesprochen hatte, obwohl ihn nichts mehr mit dem Institut verband und er deshalb zu dieser Rede nicht gezwungen werden konnte. Er hatte beteuert, dass er Strums Arbeit allzu große Bedeutung beigemessen und ihre Unzulänglichkeiten übersehen habe. Das war verblüffend, denn Pimenow hatte früher oft erklärt, dass Strums Arbeit in ihm andächtige Gefühle hervorrufe, dass er glücklich sei, einen Beitrag zu ihrer Verwirklichung leisten zu dürfen.
    Schischakow hatte nur kurz gesprochen. Der Sekretär des Parteikomitees des Instituts, Ramskow, hatte die Resolution eingebracht. Sie war brutal, verlangte, dass die Verwaltung die faulenden Teile vom gesunden Kollektiv abhackte. Besonders beleidigend war, dass Strums wissenschaftliche Verdienste mit keinem Wort erwähnt wurden.
    »Sokolow hat sich doch absolut anständig benommen. Warum Marja Iwanowna wohl verschwunden ist, hat sie wirklich solche Angst?«, fragte Ljudmila Nikolajewna.
    Strum antwortete nicht.
    Sonderbar! Er war keinem

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