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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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eingeprägt.
    Eine spöttische Bemerkung über einen Genossen, ein abschätziges Wort über ein Buch, ein scherzhafter Trinkspruch am Geburtstag, ein dreiminütiges Telefongespräch, eine boshafte Notiz, die er im Präsidium der Versammlung aufgeschrieben hatte – alles war in der Mappe mit den Schnüren gesammelt worden.
    Seine Worte und Handlungen waren zusammengetragen und getrocknet worden, sie bildeten ein umfangreiches Herbarium. Böse Finger hatten fleißig Brennnesseln, Unkraut, Disteln, Gänsefuß gesammelt …
    Den mächtigen Staat beschäftigte seine Affäre mit Muska Grinberg. Bedeutungslose Worte, Kleinigkeiten wurden mit seinem Glauben verbunden, seine Liebe zu Jewgenia Nikolajewna bedeutete nichts, aber zufällige, nichtssagende Beziehungen waren wichtig, und er vermochte das Wichtige bereits nicht mehr vom Unwichtigen zu unterscheiden. Ein von ihm ausgesprochener respektloser Satz über Stalins philosophisches Wissen bedeutete offenbar mehr als zehn Jahre seiner rastlosen Parteiarbeit. Hatte er wirklich im Jahr 1932, als er im Arbeitszimmer von Losowski mit einem Genossen aus Deutschland sprach, gesagt, dass die sowjetische Gewerkschaftsbewegung zu stark von staatlichen und zu wenig von proletarischen Interessen geprägt sei? Dieser Genosse hatte ihn denunziert.
    Aber, mein Gott, das war doch alles Lüge! Ein sprödes, klebriges Spinngewebe kroch ihm in den Mund, in die Nasenflügel.
    »Verstehen Sie doch, Genosse Untersuchungsrichter.«
    »Bürger Untersuchungsrichter.«
    »Ja, ja, Bürger. Das ist doch eine Unterstellung, ein Vorurteil. Ich bin seit einem Vierteljahrhundert in der Partei. Ich habe den Soldaten im Jahr 1917 Feuer unterm Arsch gemacht; war vier Jahre in China. Ich habe Tag und Nacht gearbeitet. Mich kennen Hunderte von Menschen … Im Großen Vaterländischen Krieg bin ich als Freiwilliger an die Front gegangen, in den schwersten Minuten hatten die Männer Vertrauen zu mir, folgten mir … Ich …«
    Der Untersuchungsrichter fragte: »Sie sind wohl hierhergekommen, um sich eine Ehrenurkunde abzuholen? Warten Sie auf einen Orden?«
    Nein, um eine Ehrenurkunde ging es ihm wahrhaftig nicht.
    Der Untersuchungsrichter schüttelte den Kopf.
    »Er beklagt sich auch noch, dass seine Frau ihm keine Päckchen bringt. Schöner Ehemann!«
    Das hatte er in der Zelle zu Bogolejew gesagt. Mein Gott! Katzenellenbogen hatte gewitzelt. »Ein Grieche hat mal behauptet: Alles fließt, aber wir behaupten: Alles denunziert.«
    Eingegangen in die Mappe mit den Schnüren, hatte sein Leben seine ganze Übersichtlichkeit und Gliederung verloren … Alles vermischte sich zu einem grauen, zähen Brei, und er wusste nun selbst nicht mehr, was schwerer wog: vier Jahre Schuften im Untergrund in der auszehrenden, dampfigen Schwüle von Schanghai, die Flussüberquerung bei Stalingrad, sein revolutionärer Glaube oder ein paar gereizte Worte über das unsägliche Niveau der sowjetischen Presse, die er im Sanatorium »Sosny« zu einem wenig bekannten Literaturwissenschaftler gesagt hatte.
    Der Untersuchungsrichter fragte gutmütig, leise, sanft: »Und jetzt erzählen Sie mir, wie hat Sie der Faschist Hacken in die Arbeit als Spion und Diversant hineingezogen?«
    »Das meinen Sie doch wohl nicht im Ernst?«
    »Krymow, spielen Sie nicht den Dummkopf. Sie sehen selbst, uns ist jeder Schritt Ihres Lebens bekannt.«
    »Eben, ebendeshalb …«
    »Hören Sie auf, Krymow. Sie können die Sicherheitsorgane nicht täuschen.«
    »Aber das ist doch eine Lüge!«
    »Sehen Sie, Krymow, wir haben Hackens Geständnis. Als er sein Verbrechen bereute, hat er von der verbrecherischen Verbindung zwischen Ihnen beiden erzählt.«
    »Sie können mir ein Dutzend Geständnisse Hackens zeigen. Das ist eine Fälschung! Blödsinn! Wenn Sie ein solches Geständnis Hackens besitzen – warum haben Sie dann mir, einem Diversanten, einem Spion, zugetraut, Kriegskommissar zu sein, die Männer in den Kampf zu führen? Wo waren Sie, wohin haben Sie geschaut?«
    »Hat man Sie etwa hierhergerufen, damit Sie uns belehren? Damit Sie die Arbeit der Organe leiten? Was?«
    »Was heißt denn hier leiten, belehren? Es gibt eine Logik. Ich kenne Hacken. Er konnte nicht sagen, er hätte mich angeworben. Das konnte er gar nicht!«
    »Wieso konnte er das nicht?«
    »Er ist Kommunist, ein Revolutionskämpfer.«
    Der Untersuchungsrichter fragte: »Waren Sie davon immer überzeugt?«
    »Ja«, antwortete Krymow, »immer!«
    Der Untersuchungsrichter blätterte

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