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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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werden nichts bei mir erreichen! Ich unterschreibe keine verlogenen Geständnisse! Hören Sie? Nicht einmal unter der Folter unterschreibe ich!«
    Der Untersuchungsrichter sagte: »Überlegen Sie es sich.«
    Er begann, die Seiten durchzublättern, und schaute Krymow nicht an. Die Zeit verging. Er schob Krymows Akte beiseite und holte ein Blatt Papier aus dem Schreibtisch. Er schien Krymow vergessen zu haben, schrieb ohne Hast und kniff die Augen zusammen, während er seine Gedanken sammelte. Dann las er das Geschriebene durch, dachte erneut nach, holte aus der Schublade einen Umschlag und adressierte ihn; möglicherweise war es kein dienstlicher Brief. Dann las er die Adresse durch und unterstrich den Familiennamen auf dem Umschlag mit zwei Strichen. Dann füllte er einen Federhalter mit Tinte und wischte ohne Hast die Tintentropfen von der Feder. Dann spitzte er Bleistifte über dem Aschenbecher; die Mine eines Bleistifts brach jedes Mal ab, aber der Untersuchungsrichter ärgerte sich nicht über den Bleistift, sondern machte sich geduldig von Neuem an die Arbeit. Dann prüfte er die Spitze des Bleistifts mit dem Finger.
    Und das Subjekt dachte nach. Es hatte allen Grund dazu.
    Woher kamen all die Spitzel? Er musste sich erinnern, herausbekommen, wer ihn denunziert hatte. Und wozu? Muska Grinberg … Der Untersuchungsrichter würde noch bis zu Genia gelangen … Es war schon seltsam, dass er bis jetzt mit keinem Wort nach ihr gefragt, nichts über sie gesagt hatte … Hat etwa Wassja gegen mich ausgesagt? Aber was, was soll ich denn bekennen? Auch hier bleibt ein Geheimnis ein Geheimnis. Partei, wozu brauchst du das? Jossif, Koba, Sosso. Welcher Vergehen wegen hat Stalin so viele Gute und Starke geschlagen? Man musste nicht die Fragen des Untersuchungsrichters fürchten, sondern sein Schweigen, das, worüber er schwieg – Katzenellenbogen hatte recht. Natürlich würde er von Genia reden; es war klar, man hatte sie verhaftet. Warum ist alles so gekommen, wie hat das alles angefangen? Sitze wirklich ich hier? Was für eine Trübsal, wie viel Schmutziges gibt es in meinem Leben. Verzeihen Sie mir, Genosse Stalin! Ein Wort von Ihnen, Jossif Wissarionowitsch! Ich bin schuldig, ich habe mich geirrt, ich habe dummes Zeug geredet, ich habe gezweifelt, die Partei weiß alles, sieht alles. Warum nur habe ich mit diesem Literaten gesprochen? Ist es denn nicht ganz gleich? Aber wieso führt man hier die Einkesselung an? Das Ganze ist eine Verleumdung, eine Lüge, eine Provokation. Warum nur habe ich damals nicht über Hacken gesagt: Mein Bruder, mein Freund, ich zweifle nicht an deiner Reinheit … Und Hacken hat seine unglücklichen Augen von mir abgewandt.
    Plötzlich fragte der Untersuchungsrichter: »Nun, erinnern Sie sich?«
    Krymow breitete ratlos die Arme aus.
    »Es gibt nichts, woran ich mich erinnern müsste.«
    Das Telefon klingelte.
    »Ich höre«, sagte der Untersuchungsrichter und warf Krymow einen flüchtigen Blick zu. »Ja, bereite es schon mal vor, die Ablösung kommt bald.« Krymow schien, dass von ihm die Rede war.
    Dann legte der Untersuchungsrichter den Hörer auf und hob ihn wieder ab. Es war ein erstaunliches Telefongespräch, so geführt, als ob kein Mensch, sondern ein vierbeiniges Wesen im Zimmer wäre. Der Untersuchungsrichter schwatzte offensichtlich mit seiner Frau.
    Zunächst ging es um Haushaltsfragen: »Im Sonderladen? Eine Gans, das ist gut … Warum hat man dir auf den ersten Abschnitt nichts gegeben, die Frau von Serjogin hat angerufen, sie hat auf den ersten eine Hammelkeule bekommen, wir beide sind eingeladen. Ich habe übrigens Quark in der Kantine geholt, nein, keinen sauren, achthundert Gramm … Und wie brennt das Gas heute? Vergiss nicht, an den Anzug zu denken.«
    Dann fuhr er fort: »Na, du langweilst dich wohl gar nicht, pass nur auf. Du hast von mir geträumt? Und wie? Trotzdem in Unterhosen? Schade … Pass auf, wenn ich komme, kannst du noch zu deinem Kurs gehen … Sauber gemacht, das ist gut, pass nur auf, dass du nichts Schweres hebst, das darfst du auf keinen Fall.«
    An diesen kleinbürgerlichen Banalitäten war etwas Merkwürdiges: Je mehr das Gespräch einem alltäglichen menschlichen Gespräch ähnelte, desto weniger ähnelte der Mann, der es führte, einem Menschen. Irgendwie entsetzt der Anblick eines Affen, der das Verhalten eines Menschen nachahmt … Und gleichzeitig empfand Krymow auch sich selbst nicht als Menschen, denn in Anwesenheit eines fremden Menschen führt

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