Lebendig und begraben
Scheune und dem abgedunkelten Haus war fein säuberlich ein Rechteck in den kümmerlichen Rasen geschnitten worden. Ein Rechteck von etwa drei Metern Länge und einem Meter Breite.
Wie ein frisches Grab.
Aber wo sich sonst an einem frischen Grab ein Erdhügel befindet, war der Boden flach. Reifenspuren verliefen kreuz und quer, so als ob jemand mit einem Wagen oder einem LKW darauf hin und her gefahren wäre. Der Regen hatte die Spuren aufgeweicht.
Ich spürte das Prickeln einer Vorahnung.
An einem Ende des rechteckigen Fleckchens Erde steckte wie der abgesägte Stamm eines Baumsprösslings ein PVC-Rohr.
Ich ließ den Feldstecher fallen, der an einem Gurt um meinen Hals baumelte, und bewegte mich auf den Waldrand zu.
Das Haus, das sich ein paar hundert Meter von der Scheune entfernt befand, war eine braune, alte Ruine. Die hölzerne Außenverkleidung war verwittert und rissig, und auf dem Dach fehlten ein paar Ziegel.
Aber auf dem Dach des Hauses war eine weiße Satellitenschüssel befestigt.
Sie sah noch ganz neu aus.
Im Schatten hinter der Scheune konnte ich allmählich die Konturen einer großen Maschine erkennen. Sie ragte empor wie ein riesiger, geometrischer Vogel. Ich schaute genauer hin und sah, dass es ein Radlader von Caterpillar war.
95. KAPITEL
Ich richtete den Feldstecher auf das Haus und stellte ihn scharf. Zwei Stockwerke, ein spitzes Dach, kleine Fenster. Im Inneren kein Licht. Auf der flachen Holzveranda befand sich ein weiteres Gerät. Ein Luftkompressor?
Ja. Das ergab Sinn. Damit sorgte er für Luftzirkulation in ihrer Kiste oder was es auch war.
Dies musste der richtige Ort sein.
Ein, zwei Minuten lang beobachtete ich alles genau, schaute nach irgendeiner Bewegung in der Dunkelheit, einem Glitzern von der Reflektion des Mondlichts. Ich war geschätzte zweihundertsiebzig Meter vom Haus entfernt, zu weit für genaue Schüsse mit der Pistole.
Für jemanden, der sich mit einem Gewehr im Haus aufhielt, stellten zweihundertsiebzig Meter aber kein Problem dar.
Sobald ich die Lichtung betrat, war ich ein gutes Ziel.
Ich nahm mein Handy und rief Diana an. Ich flüsterte: »Ich glaube, sie ist hier.«
»Hast du sie gesehen?«, fragte Diana.
»Nein. Ich sehe etwas, das eine Grabstätte sein könnte. Mit einem Belüftungsrohr, das in die Erde geht. Es gibt Spuren frisch ausgehobener Erde.«
»Schukow?«
»Das Haus ist dunkel. Ich weiß nicht genau, ob er drin ist. Sag deinen Chefs, dass es kaum Zweifel gibt. Sie müssen sofort herkommen. Und bringt Schaufeln mit.«
Ich drückte die Taste »Auflegen« und überzeugte mich, dass nur der Vibrationsalarm ein- und die Klingel ausgeschaltet war.
Dann löste ich mich aus dem Schatten und ging noch ein paar Schritte weiter über den Rasen auf die Stelle zu, wo Alexa vergraben sein musste.
Irgendetwas reflektierte das Mondlicht. Etwas, das sich in der Nähe meiner Füße befand. Und plötzlich wurde der ganze Hof in Licht getaucht. Aus zwei Richtungen strahlte Flutlicht auf und blendete mich.
96. KAPITEL
Ich presste mich flach auf den Boden. Ich konnte den lehmigen Duft der Erde riechen. Die entsicherte SIG in der Hand ertastete ich den Abzug und achtete vorsichtig darauf, ihn nur leicht zu berühren. Schon der leichteste Druck konnte einen Schuss auslösen.
Mit einer raschen Bewegung rollte ich mich herum, das Gesicht nach oben. Die Lichter kamen aus zwei Richtungen. Von der Scheune auf meiner rechten Seite und vom Haus auf meiner Linken. Mein Herz klopfte wild, aber ich atmete langsam ein und lauschte angestrengt.
Nichts.
Ich wusste, was geschehen war. Ich war in eine unsichtbare Stolperfalle auf Knöchelhöhe gelaufen. Schukow hatte in Tschetschenien bei der russischen Armee gedient. Dort musste er all die militärischen Standardtechniken gelernt haben, zum Beispiel, wie man einen Stolperdraht spannt, um eine Mine zu zünden oder heranrückende Feinde zu erkennen. Das Zeug, das man dafür benutzte, war schwarz und so dünn wie Zahnseide. Es bestand aus einer Polyethylenfaser namens Spectra. Vermutlich hatte er den Faden ringsum wenigstens streckenweise von Stamm zu Stamm gespannt und ihn mit einem Mikroschalter verbunden, der die Scheinwerfer einschaltete. Ein einfacher Bewegungsmelder ohne viel technischen Aufwand.
Aber war Schukow nun da oder nicht? Wartete er darauf,dass ich aufstand, damit mich die Flutlichter erfassten und er mich ins Visier nehmen konnte?
Ich lauschte auf Schritte.
Nichts.
Nach zwei Minuten ging das Flutlicht
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