Lebendig und begraben
»Tatsächlich?«
Er erwiderte einfach nur meinen Blick.
»Wenn du mir nicht sofort alles erzählst, verschwinde ich.«
»Das wirst du Alexa nicht antun.«
»
Ich
habe Alexa nichts angetan.« Ich stand auf. »Und ich bin sicher, dass das FBI alles Menschenmögliche tun wird, um sie zu finden.«
»Nick«, sagte er. »Das kannst du nicht machen.«
»Dann sieh hin.«
Ich ging zur Tür seines Arbeitszimmers.
»Warte!«, rief Marcus mir nach. »Nick, hör mir zu.«
Ich drehte mich um.
»Ja?«
»Selbst wenn sie ein Lösegeld fordern würden, könnte ich nichts zahlen.«
»Was soll das heißen?«
Auf seinem Gesicht mischten sich Demütigung, Wut und eine tiefe Trauer. Es war ein schrecklicher, sehr verletzlicher Ausdruck.
»Ich habe nichts«, erklärte er. »Ich bin vollkommen am Arsch. Ich bin ruiniert.«
TEIL ZWEI
Warum sieht der Mensch die Dinge nicht?
Weil er sich selbst im Weg steht. Er verbirgt die Dinge.
Friedrich Nietzsche: Götterdämmerung
27. KAPITEL
»Es ist alles weg«, sagte Marcus. Er sprach tonlos, als wäre er anästhesiert worden.
»Du verwaltest zehn Milliarden Dollar!«
»Ich habe sie verwaltet. Es ist alles weg.«
»Zehn Milliarden Dollar sind … verschwunden?«
Er nickte.
»Das ist unmöglich.« Dann kam mir ein schrecklicher Gedanke. »Meine Güte, du hattest das Geld gar nicht, hab ich recht? Stimmt’s? Es war nie real, oder?«
Marcus versteifte sich. »Ich bin nicht Bernie Madoff!« Er war sichtlich beleidigt.
Ich sah ihn an und legte den Kopf schief. Er wirkte tatsächlich erledigt, am Boden zerstört. »Also, was ist passiert?«
Er betrachtete mich einige Sekunden. Zum ersten Mal fielen mir die Altersflecken in seinem Gesicht auf. Das Netzwerk aus Furchen und Falten schien sich plötzlich vertieft zu haben und trat deutlicher hervor. Er war blass, seine Augen lagen tief in ihren Höhlen. »Vor etwa sechs oder sieben Monaten hat mein Finanzvorstand etwas so Bizarres bemerkt,dass er zuerst vermutete, wir hätten aus Versehen falsche Zahlen bekommen. Er hat gesehen, dass unsere gesamten Aktien verkauft worden waren. Sämtliche Gewinne sind ausgezahlt worden, zusammen mit dem restlichen Bargeld, das wir zur Verfügung hatten.«
»Wohin sind die Gewinne geflossen?«
»Das weiß ich nicht.«
»Wer hat das veranlasst?«
»Wenn ich das wüsste, hätte ich mir das Geld längst zurückgeholt.«
»Du hast doch eine erstklassige Brokerfirma, oder nicht? Die alle deine Käufe und Verkäufe erledigt?«
»Klar.«
»Wenn sie es vermasselt haben, müssen Sie es auch wieder geradebiegen.«
Er schüttelte bedächtig den Kopf. »Sämtliche Vorgänge waren autorisiert, mit unseren Codes und Passwörtern abgesichert. Unsere Broker behaupten, sie wären nicht verantwortlich dafür … Sie hätten nichts dagegen tun können.«
»Gibt es da nicht einen Kerl, der für dein Konto verantwortlich ist?«
»Selbstverständlich. Aber als wir entdeckt haben, was passiert war, hatte er die Bank schon längst verlassen. Man hat ihn ein paar Tage später in Venezuela gefunden … Er und seine gesamte Familie sind bei einem Autounfall in Caracas ums Leben gekommen.«
»Was für eine Brokerfirma hast du denn?« Ich erwartete die Namen Goldman Sachs, Morgan Stanley oder Credit Suisse zu hören, jedenfalls eine der größeren Firmen. Deshalb überraschte mich seine Antwort.
»Banco Transnacional de Panamá.«
»Panama?«,
erkundigte ich mich ungläubig. »Warum Panama?«
Er zuckte mit den Schultern. »Die Hälfte unseres Vermögens liegt in Offshore-Finanzplätzen. Araber und dergleichen. Da befindet sich das richtige Geld.«
In dem Punkt hatte ich meine Zweifel. Panama war die Schweiz von Lateinamerika: das Land der Bankgeheimnisse, ein exzellenter Ort, um Geld zu parken, ohne dass Fragen gestellt wurden. Eigentlich war es noch viel verschwiegener als die Schweiz.
Panama bedeutete, man hatte etwas zu verbergen.
»Plötzlich hatte
Marcus Capital Management
kein Kapital mehr, das es hätte managen können. Wir hatten nichts.
Gar nichts!
« Eine Ader pochte auf seiner Stirn. Ich hatte Angst, dass er vor meinen Augen einen Herzinfarkt bekommen würde.
»Ich glaube, ich begreife, wohin das geführt hat. Du konntest deinen Investoren nicht sagen, dass sie ihr ganzes Geld verloren haben, stimmt’s?«
»Einige von ihnen hatten Hunderte Millionen Dollar bei mir investiert. Was sollte ich ihnen sagen? Ich habe Mist gebaut? Das habe ich nicht über mich gebracht. Du weißt, dass ich in all diesen
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