Lebensbilder II (German Edition)
daß der König ihren Vater mit seinen Gnadenbezeigungen überhäufte. Der neue Glanz, mit dem sie sich umgeben sah, dünkte ihr jetzt eben so natürlich und notwendig zu ihrem Glücke wie alle die ländlichen Freuden ihrer Kindheit. Was ihr ehemals Blumen, Früchte, ein Spaziergang im Freien und aller ländlicher Reichtum war, wurden ihr jetzt: der weibliche Putz, Feinheit und Eleganz, die vergoldeten Säle, die Festlichkeiten und Freuden der großen Welt. Alles lächelte ihr entgegen, und sie benutzte die Liebe, die ihr dargebracht wurde, um diejenigen zu quälen, die ihr am meisten zugetan waren, während sie alle weiblichen Künste der Eitelkeit gegen diejenigen in Anwendung brachte, denen sie gleichgültig schien.
Die Eltern erfuhren zu spät und um so schmerzlicher die Folgen dieser großen Vorliebe. Emilie erreichte ihr neunzehntes Jahr, ohne daß sie einen der vielen jungen und reichen Freier erhören mochte, die sie stets umschwärmten. Sie war von ausgezeichneter Schönheit und die Königin eines jeden Festes, auf welchem sie erschien. Mit besonderer Sorgfalt erzogen, denn sie malte ziemlich gut, zeichnete noch besser, besaß eine mehr als gewöhnliche Virtuosität auf dem Piano, hatte eine klangreiche Stimme, sang mit vielem Ausdrucke, tanzte zum Entzücken, sprach englisch und französisch – schien sie das Sprichwort zu rechtfertigen: daß vornehme Leute schon alles wissen, wenn sie zur Welt kommen.
Alle diese verführerischen Eigenschaften aber flößten ihr einen Stolz und eine Selbstliebe ein, daß sie andere Menschen kaum fähig hielt, die Trefflichkeiten ihres Wesens zu begreifen. Und nicht minder stolz auf ihre Schönheit, wie auf ihre Geburt, ließ sie den Bürgerlichen ihre ganze Verachtung empfinden, behandelte den neuen Adel ziemlich nachlässig, und nur den ältesten Familien erwies sie gebührende Achtung.
Von allen Partien, die Ihr angeboten wurden, dünkte ihr keine gut genug; selbst von ihren Schwestern glaubte sie, daß sie sich messalliert hätten. Ihrer Einbildung nach mußte derjenige, der das Glück haben sollte, sie heimzuführen, folgende Eigenschaften besitzen:
Vor allem mußte er jung und von altem Adel sein. Womöglich Pair und Sohn eines Pairs von Frankreich, um ihr Wappen alsdann, von einem Azurmantel umwallt, auf dem Kutschenschlag zu führen und bei einer Spazierfahrt nach Longchamp mitten auf dem Wege zu bleiben. Ferner mußte er einen militärischen Posten bekleiden und dekoriert sein, um seine Orden mit im Wappen zu führen.
Bei all diesen seltenen Eigenschaften sollte er ferner sehr liebenswürdig, schön gewachsen und geistreich sein, vor allem aber schlank. Auf diese Schlankheit legte sie besonderen Wert. Wer es in der Hinsicht auf den ersten Blick nicht mit ihr hielt, konnte sicher sein, den zweiten Blick nicht zu erhalten.
Der ist einmal fett! war bei ihr ein Ausdruck des Widerwillens. Sie sagte nämlich: korpulente Leute wären unfähig zu empfinden, schlechte Gatten und unwürdig, in einer guten Gesellschaft zu erscheinen. Für Damen ist es ein Unglück, wenn sie stark werden, im Orient freilich gilt es noch für schön, aber bei einem Manne ist es überall Verbrechen.
Weil alle diese Paradoxen von einem schönen Munde gesprochen wurden, hatten sie nichts Beleidigendes. Indessen fing Herr de Fontaine dennoch an, darüber Besorgnisse zu hegen. Er war sich bewußt, alle Pflichten eines Vaters gegen seine Tochter erfüllt zu haben, ohne daß irgendein Ende seiner Sorgen abzusehen war. Um seine Bekümmernis zu vermehren, starb Ludwig XVIII., und es dauerte lange, bis er die Gunst seines Nachfolgers, Karls X., in einem solchen Grade gewann, um das letzte Ziel seines Lebens, das Glück seines jüngsten Kindes, zu erlangen, um die er sich in dieser Absicht bewarb. Nach vielen vergeblichen Intrigen, seine Tochter zu dieser oder jener Heirat zu bewegen, beschloß er endlich, gerade zu Werke zu gehen und mit seiner Tochter über ihre Zukunft zu reden.
Während ein Kammerdiener eines Morgens auf seiner hohen Stirn das Delta von Puder künstlich beschrieb und zu beiden Seiten mit den ailes de pigeon pendentes die ehrwürdige Frisur vollendete, gebot der Graf nicht ohne Besorgnisse einem alten Diener, das Fräulein Emilie zu sich zu bescheiden.
»Joseph!« fuhr er zu dem Kammerdiener fort, der endlich fertig war. »Nimm mir den Pudermantel ab, zieh die Rouleaus auf, setz die Lehnstühle beiseite. Rücke den Schirm vor den Ofen. Säubre alles ab und öffne ein Fenster,
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