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Lebensbilder II (German Edition)

Lebensbilder II (German Edition)

Titel: Lebensbilder II (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Häusern noch bis auf den heutigen Tag auf ähnliche Weise vorfällt.
    Früh acht Uhr kam eine Kammerfrau, die ziemlich einer Nonne glich, und schellte an der Tür der Wohnung Grandvilles. Ein Kammerdiener pflegte ihr zu öffnen, sie in die Vorgemächer zu führen, wo sie auf gleiche Weise täglich sprach:
    »Die gnädige Frau schickt mich, um den gnädigen Herrn zu fragen, ob der gnädige Herr gut geschlafen und es dem gnädigen Herrn gefällig wäre, mit der gnädigen Frau zu frühstücken?«
    Der Kammerdiener ging hierauf zu seinem Herrn ins Kabinett und kehrte regelmäßig mit dem Bescheid zurück:
    »Der gnädige Herr läßt der gnädigen Frau recht sehr danken und um Entschuldigung bitten, denn ein wichtiges Geschäft bescheidet ihn zum Palais.«
    Eine Weile darauf klingelte die fromme Kammerjungfer wieder und fragte, ob es der gnädigen Frau erlaubt sei, den gnädigen Herrn, ehe er ausführe, zu sprechen.
    »Der gnädige Herr sind schon aus,« antwortete hierauf der Kammerdiener, obgleich die Equipage noch im Hofraum stand.
    Wie gesagt, fiel diese Unterhandlung täglich vor. Der Kammerdiener, ein Liebling seines Herrn, gab überdies der Gräfin noch großes Ärgernis durch seine Irreligiosität und seine lockeren Sitten. Oft ging er sogar nur zum Schein in das Kabinett, wo sein Herr sich nicht einmal befand, und brachte den gewöhnlichen Bescheid, mit einer durch tägliche Übung gewonnenen Geläufigkeit.
    Die betrübte Gattin stellte sich ihrem Gemahl oft in den Weg, um seine Heimkehr zu erwarten. Wie das böse Gewissen erschien sie ihm; durch ihren Fanatismus waren die sonst so sanften Züge erstarrt. Infolge der Kasteiungen und Fasten sah sie bei weitem älter aus, als sie wirklich war; auch ihre unvorteilhafte Kleidung gab ihrem Wesen etwas Unangenehmes und Zurückstoßendes. Grandville pflegte alsdann, nur des Dekorums halber, sich in ein Gespräch mit ihr einzulassen, folgte ihr bisweilen auch in ihre Wohnung, obschon selten, denn er setzte sich den Bekehrungsversuchen seiner frommen Hausfrau aus. Im ganzen mied er, soviel als er konnte, ihre wenig erfreuliche Gegenwart: ein neues Ereignis diente indessen, Angelikas Kummer über dies Benehmen ihres Gatten zu vermehren.
    Der Graf Grandville und seine ganze Familie standen seit der Restauration bei Hofe in großem Ansehen, denn er gehörte zu einem der ältesten Geschlechter der Normandie. Eine Präsidentenstelle an einem königlichen Gerichtshof wurde ihm angetragen, die er aber ausschlug, weil er deshalb Paris verlassen sollte. Die Ablehnung dieses hohen Postens gab Angelikas Beichtvater zu den seltsamsten Gedanken Anlaß. Grandvilles Ernennung zum Präsidenten wäre das sicherste Mittel gewesen, die Pairschaft zu erlangen. Woraus entsprang dieser Mangel an Ehrgeiz? Woraus entsprang diese gänzliche Entsagung früherer Pläne? Wo verbrachte Grandville binnen der letzten sechs Jahre seine Zeit, daß er dem Hause seiner Gattin, seinen Geschäften und allem, was ihm sonst teuer war, wie entfremdet schien?
    Der Ex-Kanonikus setzte, um die Bischofswürde zu erhalten, allen Einfluß der Häuser, worin er galt, in Bewegung, nicht minder auch das Ansehen seiner Kongregation, der er durch seinen kirchlichen Eifer wichtige Dienste geleistet hatte. Aber auf Grandville hatte er am meisten gerechnet und sah sich mit einem Male durch dessen Ablehnung eines so hohen Postens in seinen Rechnungen gestört.
    In seinem Verdrusse darüber behauptete er, des Grafen Abneigung, in der Provinz zu leben, rühre vermutlich daher, daß er dort ein einfacheres Leben führen, durch seine Sitten den Untergebenen ein Beispiel sein müßte und sich von seiner Gattin nicht so entfernt halten könne wie hier. Er lobte die Engelsgeduld und die Seelenreinheit der Gräfin, die dem Benehmen ihres Gemahls eine so grenzenlose Nachsicht schenkte.
    Die alten Weiber, welche schon seit langer Zeit Angelikas tägliche Gesellschaft bildeten, fanden diese Vermutungen sehr einleuchtend und erklärten dies unbedingt als Wahrheit.
    Madame Grandville stand wie vom Schlage getroffen. Sie kannte weder die Welt noch ihre Sitten, weder die Liebe noch ihre Torheiten und wäre nie darauf verfallen, daß Grandville Dinge begehen konnte, die ihr ein Verbrechen dünkten: seinen Kaltsinn hätte sie für seinen natürlichen Charakter gehalten. Mit einem Male glaubte sie einzusehen, daß die Anleitungen ihres Beichtvaters schuld an der Abneigung ihres Gatten wären. Die Beleidigungen. welche der Mönch sich gegen

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