Lebenselixier
stieß Tony in einen fensterlosen Raum. Unter der Decke baumelte eine
einsame Glühbirne. Im schwachen Licht erkannte sie Thomas, der sich mühsam an
der rückwärtigen Wand hochzog. In der Ecke gegenüber kauerte eine unscheinbare
Frau um die dreißig. Tränen hatten Spuren auf ihrem bleichen Gesicht
hinterlassen.
Beide starrten Tony an, als die Tür aufgerissen und sie hineingestoßen wurde. Splitternackt,
barfuß und mit trocknendem Blut bedeckt taumelte sie gegen Thomas. Unter den
Krusten hatten sich ihre Wunden bereits geschlossen. Sie sah aus, wie einem
schlechten Gruselfilm entstiegen.
Der Gefährte bot ebenfalls einen furchtbaren Anblick. Tony registrierte die
dunklen Augenringe in dem schrecklich schmalen Gesicht. Die Tür wurde ins
Schloss geworfen, ein Schlüssel gedreht.
„Bist du okay?“ Thomas Finger tasteten vorsichtig über ein paar verkrustete
Schnitte. „Blöde Frage! Sorry!
Es war die Erinnerung an den Schmerz, die sie hatte zusammenzucken lassen. „Es
ist so ziemlich verheilt, denke ich.“ Gern hätte sie sich in Thomas Arme
geworfen und nur noch geheult. Doch sie riss sich zusammen. Sie ahnte, Thomas
hatte Tage lang ertragen, was ihr ein paar endlos erscheinende Stunden angetan
wurde.
„Sie sind hier!“ Eine Spur des vertrauten Leuchtens flackerte in Thomas Augen
und veranlasste Tonys Herz zu einem kleinen Hüpfer. „Deshalb lassen sie uns
jetzt in Ruhe.“
„Lukas?“, fragte Tony hoffnungsvoll.
„Ich konnte niemanden sehen, aber es sind Jäger.“
Tony zitterte, nicht nur vor Kälte. Sie klammerte sich an ihrem
Leidensgefährten fest, um nicht umzukippen. Thomas keuchte. Wäre da nicht die
Wand gewesen, die seinem Rücken halt bot, der Gefährte wäre umgekippt. Besorgt
griff Tony nach seiner Hand.
„Du bist schwer verletzt?“
Er schüttelte den Kopf. „Das heilt.“
Dass die Kerle drauf und dran gewesen waren ihn tot zu prügeln, als die
rettende Unterbrechung kam, brauchte Tony jetzt nicht zu hören. Thomas begann,
das weite und zu lange Hemd aufzuknöpfen.
„Zieh das an.“
Während der Stoff von seinen Schultern rutschte, blieb Tonys Blick an den
beinahe schwarzen Blutergüssen hängen, die seinen Oberkörper bedeckten.
„Na los!“
„Aber dann frierst du“, protestierte sie halbherzig. Dankbar zog sie den dünnen
Stoff um sich. Ein Knopf fehlte und unter dem Ärmel war ein Riss.
Sie schämte sich nicht in dem Sinn vor Thomas, wie das gegenüber den meisten
Männern der Fall gewesen wäre. Dennoch war sie froh, sich wenigstens bis zu den
Oberschenkeln zu verhüllen.
Thomas hatte in der kurzen Zeit bedenklich an Gewicht verloren. Unter den
Hämatomen zeichneten sich die Rippenbögen ab. Er versuchte ein schiefes
Grinsen, das Tony noch mehr bestürzte. Sie bemerkte den blaugrünen Schimmer auf
seinem Kinn und dass zwei Schneidezähne fehlten.
„Ich schätze, wenn das Karma ist, muss ich in einem früheren Leben ein
ziemlicher Scheißkerl gewesen sein, was?“
Erst vor einem halben Jahr hatte ein psychopathischer Bluttrinker dem Gefährten
übel mitgespielt. Sie wollte ihn trösten, ihm versichern, dass er nichts von
all dem verdient hatte. Stattdessen zog sie ihn an sich und umarmte ihn
behutsam. Worte waren zu schwach.
Thomas ließ sich behutsam an der Wand zu Boden rutschen und Tony tat es ihm
gleich. Ihr gegenüber saß die Fremde und beobachtete sie, wachsam und
verschreckt.
„Bist du auch eine Gefährtin?“, fragte Tony teilnahmsvoll. „Haben sie dich auch
entführt?“
Hannahs schieres Entsetzen reizte Thomas, trotz seiner Schmerzen, zum Lachen.
42
„Verdammt!“ Jamal
begutachtete die Färbung des Himmels. Nachdem Thomas vom Fenster verschwunden
war, konnte er Jan loslassen. Bei halbwegs klarem Verstand würde der
Bluttrinker nichts tun, was seinen Gefährten in noch größere Bedrängnis
brachte.
„Der Dreckskerl spielt auf Zeit“, brummte Arne. „Er muss sich uns nur bis
Sonnenaufgang vom Hals halten. Dann kann er sich in aller Ruhe aus dem Staub
machen.“
„Dann gehen wir rein“, drängte Lukas. „Sofort!“
„Wenn wir sie ablenken und überraschend angreifen, überrumpeln wir sie“, schlug
Jan in die selbe Kerbe.
Arne schnaubte. „Glaubt ihr, daran habe ich noch nicht gedacht? Es sind zu
viele! Egal was wir tun, sie haben allemal genug Zeit, die Geiseln zu töten.
Das ist zu riskant.“
„Aber wir müssen was tun! Bevor die Sonne aufgeht!“
Aus Lukas sprach die Verzweiflung, die ihn zu überwältigen drohte. Er war sich
bewusst, dass Klaas
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