Lebenselixier
musste ein böser Traum sein!
Doch Walser setzte die Klinge ein zweites Mal an, exakt einen Zentimeter neben
dem ersten Schnitt. Diesmal war der Schmerz sofort präsent und Tony schrie,
während das Skalpell Haut und Muskel durchtrennte.
40
Die Limousine der
Jäger rollte an den verwitterten Fassaden von Lagerhallen und Bürohäusern
vorbei. Dieses Industriegebiet hatte schon bessere Tage gesehen. Ebenso die
verlassene Autowerkstatt an der Ecke vor ihnen.
„Halt dort an“, bestimmte Arne.
Jamal steuerte den Wagen in die Sichtdeckung einer lang gestreckten
Werkstatthalle. Vor einem der rostigen Falttore stoppte er, schaltete den Motor
aus und zog sorgfältig die Handbremse.
Jan schlang die
Arme um den Oberkörper, als wollte er sich selbst festhalten. Er spürte sein
eigenes Zittern. Mit äußerster Anstrengung gelang es ihm, dass man ihm
äußerlich nichts anmerkte – hoffte er zumindest.
Er wollte aus dem Auto springen, diese triste Industriestraße hinunter rennen
und alles niederreißen und zerschlagen, was sich ihm in den Weg stellte ...
Im Rückspiegel fing er Arnes besorgten Blick auf. Seine Selbstkontrolle war
eine dünne Hülle über seinen Instinkten. Allein zu wissen, dass Thomas sich in
der Nähe aufhielt - Arne war kein Idiot. Wahrscheinlich konnte er dem Jäger ohnehin
nichts vormachen.
„Also los!“ Arne
stieg aus. Jamal und die beiden Wächter folgten ihm. Irgendwie gelang es Jan,
sich beinahe so ruhig und beherrscht zu geben wie die Jäger.
Arne öffnete den Kofferraum und zog eine halb automatische Pistole aus einer
schwarzen Sporttasche hervor. „Ich nehme nicht an, dass ich dich überreden
kann, hier zu warten.“
Jan machte sich nicht die Mühe, zu antworten. Unwillkürlich wanderte sein Blick
nach oben, über das Blechdach der Werkstatthalle hinweg. Dort sah man grade
noch das Dach eines mehrgeschossigen Bürogebäudes emporragen. Ihr eigentliches
Ziel.
„Kannst du mit
dem Ding umgehen?“
Jan pflückte die Pistole aus Arnes Hand. Mit geübten Handgriffen setzte er das
Magazin ein und schraubte den Schalldämpfer auf.
Arne nickte dem
jungen Bluttrinker zu, obwohl Jans Kenntnisse im Umgang mit Handfeuerwaffen ihn
eher unangenehm berührten. Wenn man mit dem zumeist freundlichen jungen Mann zu
tun hatte, vergaß man allzu leicht, dass er nicht der unbedarfte Bursche war, als
der er erschien. Jan war der Sohn eines Alten Gottes , eines Erzfeindes
der Jäger. Auch wenn Helmar im vergangenen Winter den lang verdienten Tod
gefunden hatte, Jan war unter dem Einfluss des Verbrechers aufgewachsen. Mit Sicherheit
war er durch eine harte Schule gegangen.
Die Bluttrinker
umrundeten die Werkstatt. Der Maschendrahtzaun hinter der Halle fiel einer
Drahtschere zum Opfer. Klaas, einer der Wächter, ließ das Werkzeug nach getaner
Arbeit wieder in einer Tasche seiner voluminösen Lederjacke verschwinden.
Zweifellos war das Gelände rund um das Bürogebäude früher von einer gepflegten
Grünanlage umgeben gewesen. Jetzt mussten die Bluttrinker sich durch verfilztes
Gestrüpp vorarbeiten. Um sich lautlos zu bewegen brauchten in dieser Umgebung
sogar Vampire ihr ganzes Geschick.
Eine dichte Hecke aus Sommerflieder und Forsythien wucherte hinter einer
kleinen, gepflasterten Fläche. Eine hölzerne Parkbank moderte vor sich hin.
Arne befahl seinen Leuten haltzumachen. Er und Jamal verharrten minutenlang mit
geschlossenen Augen.
Auch Jan blieb stehen. Die verwitterte Aluminiumfassade ragte nur wenige Meter
vor ihnen aus dem rissigen Asphalt des umgebenden Parkplatzes auf. Nur eine
Reihe dunkler Lieferwagen parkte neben dem Eingang, im schwachen Licht der
Straßenbeleuchtung kaum zu erkennen.
Im Gegensatz zu den Jägern suchten Jans Sinne nach einem ganz bestimmten
Muster. Alles, was er fand, waren die panikerfüllten Gedanken einer Sterblichen.
Ihr Geist schrie verworrene Ängste in die Nacht hinaus. Unmöglich
herauszufinden, was ihr solche Furcht einjagte.
Arne schlug die
Augen auf. „Sie sind im vierten Stock“, verkündete er.
Jan nickte. Naheliegend, denn dort hielt sich auch die verängstigte Frau auf.
„Es sind viele, auf jeden Fall über zwanzig Sterbliche.“ Jamal zuckte mit den
Schultern. „Aber das war´s auch schon.“
„Sieht aus, als hätte Johann recht“, bestätigte Arne. „Kein telepathischer
Kontakt.“ Er zog die Stirn in Falten. „Ich fürchte, diese Angelegenheit lässt sich
nicht unblutig lösen.“
„Es ist wie bei den Glatzköpfen, die wir neulich aus dem Raven
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