Lebenselixier
flauschigen Frottee die Arme um sich. Als sie das Boot vor wenigen
Monaten zum ersten Mal betreten hatte, trieben einige Details ihr die Röte ins
Gesicht. Es war ein angenehmes, erwartungsvolles Erröten gewesen. Jetzt war ihr
einfach alles zu viel. Sie wünschte, Lukas würde sich umdrehen, und sie könnte
in ihren Schlafanzug und unter die Decke schlüpfen, ohne dass er sie auch nur
ansah. Der Gedanke, er könnte heute Morgen Sex von ihr wollen, brachte sie an
den Rand einer Panik. Was sie in dieser Nacht erlebt hatte, war weit schlimmer,
als die schrecklichen Erlebnisse des vergangen Winters, mit den Alten Göttern.
Diese Bluttrinker waren brutale Verbrecher, auch nach den Maßstäben ihrer
eigenen Art. Damit konnte sie umgehen. Die Alten Götter waren die Bösen, wie
die Jäger die Guten waren. Und Lukas, der Mann, den sie liebte und begehrte,
gehörte eindeutig zu den Guten.
Das war die Grenze, die sich heute Nacht verschoben hatte.
Aus einem klaren Schwarz und Weiß waren Schattierungen schmutziger Grautöne
geworden. Und Tony war sich keineswegs sicher, ob die Leute, denen sie ihr
Vertrauen und ihre Liebe schenkte, zum helleren Grau gehörten. Nicht nach der
Wiedersehensfreude, die Lukas angesichts einer Horde Vergewaltiger gezeigt hatte.
Und auch nicht nach dem erregten Verlangen in den Augen eines Vierzehnjährigen,
der dieses Schauspiel offensichtlich genoss.
„Ich weiß, es
gibt keine Entschuldigung.“
„Tatsächlich?“ Tony saß, noch immer fest in ihren Bademantel gewickelt, auf der
Bettkante. „Woher solltest du das wissen? Warum solltest du es überhaupt so
sehen? Das waren doch nur ein paar Sterbliche. Wirte. Blutquellen. Oder wie
nennt ihr uns noch?“
„Ich nenne dich meine Gefährtin“, sagte Lukas eindringlich, „Das ist kostbar,
für jeden von uns.“
Tony schüttelte den Kopf. So einfach war das nicht.
„Was unterscheidet mich denn von den Menschen, die dein alter Freund wie Dinge benutzt?
Ein zufälliges Talent, meine Gedanken für mich zu behalten? Glaubst du das
reicht, damit ich mich überlegen fühle? Machen zwei Liter Vampirblut etwas
Besseres aus mir? Warum sollte ich das überhaupt wollen?“
„Du irrst dich, Tony. Mein Blut hat dich verändert. Ob dir das momentan gefällt
oder nicht. Und ich bin nicht der Meinung, dass wir den Sterblichen überlegen
sind. Kein Bluttrinker, der seinen Verstand beisammenhat, hält sich für
überlegen.“
Lukas Worte überraschten Tony, rissen sie aus ihrer schmerzvollen Starre. Zum
ersten Mal, seit die Warlocks das Tuschinski betreten hatten, sah sie ihn
direkt an.
„Das ist das Wesentlichste, was ein Bluttrinker, der ein Jäger werden will,
begreifen muss. Wir leben seit vielen Jahrtausenden an den Rändern der
menschlichen Gesellschaft, und das nicht nur, weil wir uns von eurem Blut
ernähren.
Wir leben in eurer Gesellschaft, weil wir selbst keine haben. Wir besitzen
keine eigene Sprache, keine Kunst, keine Musik, keine Philosophie. Niemand von
uns hat je versucht, unsere Geschichte aufzuschreiben. Wir haben keine
Erfindungen gemacht und keine Entdeckungen. Wir sind eurer Spezies um den
Erdball gefolgt, während ihr ihn besiedelt habt, wie die Ratten, die sich in
euren Schiffen versteckt haben.
Wir sehen uns gern als Raubtiere, aber das ist eine Illusion. In Wahrheit seid
ihr eher unsere Wirte, als unsere Beute. Wir bedienen uns eurer Lebenskraft in
der Regel, ohne euch etwas zurückzugeben. Ihr Gefährtinnen seid eine Ausnahme,
weil wir euch zu unserer Fortpflanzung brauchen. Also sind wir auch keine
echten Symbionten. Die Bezeichnung, die wirklich auf uns zutrifft, ist Parasiten.
Wir wissen nicht, woher wir kommen, weil es uns nie interessiert hat. Wir
fragen uns nicht ernsthaft genug, wohin wir gehen, um uns lange den Kopf
darüber zu zerbrechen. Es gibt überhaupt nicht viel, womit man einen
Bluttrinker fesseln kann, abgesehen von Blut und Sex. Letztlich ist das die
Motivation, die jeder unserer Handlungen zugrunde liegt.“
Tony schluckte, fühlte sich überrumpelt. Sie hatte mit einem Streit gerechnet,
in dem Lukas womöglich sogar das Verhalten der Warlocks rechtfertigte.
„Aber – nein, das ist doch Unsinn. Warum sollte ein Bluttrinker keine Musik
komponieren oder Gedichte schreiben? Bestimmt gibt es welche, die das tun.“
Lukas Lächeln erweckte den Eindruck, sein Gesicht täte weh.
„Niemand von uns hat jemals etwas Derartiges getan. Natürlich können wir singen
oder lernen, ein Instrument zu spielen. Allerdings sind dem
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