Lebenselixier
daran.
Immerhin gelang es ihm inzwischen, an der Lichtquelle vorbei zu blinzeln. Sie
hatte ihn wohl nur so stark geblendet, weil seine Augen sich erst an die
Helligkeit gewöhnen mussten. Das Licht wies eine violette Färbung auf.
„Das tut gut,
was?“ Die Stimme klang höhnisch. Ein intensiver Geruch nach schalem
Pfeifentabak stieg ihm in die Nase. „Wie ein netter Tag in der Sonne.“
Thomas runzelte die Stirn. Was für eine alberne Bemerkung.
„Wer sind Sie?“, fragte er. „Wo bin ich?“
Er konnte den Mann jetzt undeutlich erkennen. Sein Gesicht schien unweit der
lästigen Lampe zu schweben.
„Ich stelle die Fragen!“
Die Lampe erlosch und im gleichen Moment sprang summend die Deckenbeleuchtung
an, zwei Reihen viereckiger Einbauleuchten in einer typischen Büroraumdecke.
Thomas sah diese
Decke, den oberen Teil der kahlen, weiß gestrichenen Wände und ein
Stahlrohrgestell, in dem die jetzt ausgeschaltete Lampe schräg über ihm hing.
Das Ding bestand aus mehreren Reihen dunkler Glühbirnen. Soweit er an sich
hinabsehen konnte, waren es ähnliche Stahlrohre, zu Gittern angeordnet, die ihn
einklemmten und das Gefühl vermittelt hatten, verschüttet zu sein.
Der Mann, der neben ihm stand, grinste überlegen. Thomas erkannte ihn sofort.
Er sah bei seiner Arbeit tagtäglich Dutzende neuer Gesichter, doch dieses war
ihm in Erinnerung geblieben.
„Martini“, murmelte er.
Das Grinsen des
Mannes wurde noch eine Spur überheblicher, als er sich wiedererkannt sah. Der
Blick aus den farblosen Augen fixierte Thomas mit unangenehmer Intensität. Er
starrte auf ihn hinab, begierig auf jede Reaktion, die sein Gefangener zeigen
würde.
„Wie heißt du?“
Thomas überlegte fieberhaft. Sollte er besser schweigen? Andererseits, wenn er
sich kooperativ zeigte, wäre sein Gegenüber vielleicht weniger wachsam, würde
selbst mehr preisgeben.
„Deinen Namen!“, herrschte der Alte.
„Ich heiße Thomas. Thomas Rhode.“
Der Kerl sah auf und über Thomas hinweg, zu einer Frau um die dreißig, mit
schmalem, ungeschminktem Gesicht, das blonde Haar zu einem strengen Knoten
aufgesteckt. Sie hielt ein Klemmbrett und ging eine Liste durch. Schließlich
schüttelte sie den Kopf. „Wir wissen nicht, wie vollständig diese Angaben sind“,
gab sie zu bedenken.
„Bist du Schüler an diesem Internat für Deinesgleichen?“
Thomas starrte den Mann verwirrt und fassungslos an.
Sie glauben, sie hätten einen Bluttrinker gefangen! Einen sehr jungen
Bluttrinker! „Ich bin Barmixer im Raven, das wissen sie doch.“
Der Mann gab einen verächtlichen Laut von sich. „Wir wissen, dass du zu diesen
Menschenfängern gehörst. Ich habe von Anfang an befürchtet, dass es solche Orte
geben könnte, an denen ihr ahnungslose Menschen in eure Fänge lockt. Wir werden
versuchen das zu beenden, aber die Behörden sind schwerfällig und es wäre
gefährlich, zu vielen Dummköpfen zu viel zu verraten. Es könnte eine Panik
ausbrechen, wenn die Leute erführen, welche Bestien unter ihnen leben.“
Der Kerl redete
sich richtig in Rage. Thomas traute ihm problemlos zu, dass er die
heranwachsenden Bluttrinker auf dem Gewissen hatte. Besser, er machte diesen
Gestalten klar, dass er ein Mensch war, bevor sie anfingen, Schläuche in seine
Adern zu schieben!
Wie war das möglich? Das erste Opfer verschwand in London. Die beiden folgenden
fanden in Amsterdam den Tod. Sollte er danach fragen? Vielleicht war der Typ ja
verrückt genug, es ihm einfach zu erzählen.
Wie viel konnte der Kerl tatsächlich über die getöteten Jungen wissen? Thomas
wollte ihm keinesfalls zusätzliche Informationen verschaffen.
„Es spielt keine
Rolle“, unterbrach die herrische Stimme seine Gedanken. „Die Auswertung,
Hannah!“
Die Frau zog ein Blatt aus dem Stapel auf ihrem Brett und reichte es dem
Grauhaarigen. Der überflog es kurz. Sein Gesicht rötete sich und auf seiner
Stirn erschienen Furchen des Zorns.
„Was ist das für ein Unfug? Wer hat das ausgewertet?“
Die Frau setzte zum Sprechen an, er ließ sie jedoch nicht zu Wort kommen.
„Dieser Stümper sollte sein Diplom zurückgeben! Ich werde es ihm in den Hals
stopfen!“
Er hätte zweifellos noch eine Weile weitergetobt, wenn es Hannah nicht gelungen
wäre, ihn zu unterbrechen. „Aber Herr Professor! Charles sagte bereits, dass
das Ergebnis anders ist als erwartet. Er hat alles mehrfach überprüft und legt
seine Hand dafür ins Feuer. Die Daten sind korrekt.“
Walsers mürrischer Blick wanderte zwischen dem
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