Lebenselixier
so gering, dass Lukas nicht zu sagen vermochte, wie die Verletzung
zustande gekommen sein könnte.
Während die Minuten verstrichen, begann der durchdringende Geruch, der von der
Leiche ausging, alle anderen Wahrnehmungen zu überlagern.
Lukas beugte sich vor und roch an den Zellophanverpackungen mit Pudding und
Backpulver. Der Eigengeruch der Lebensmittel machte es ihm nicht leichter.
Dennoch war er überzeugt, dass Thomas keine Angst empfunden hatte, als er diese
Gegenstände anfasste. Allenfalls hing ein Hauch Überraschung in der Luft.
Etienne tauchte hinter ihm auf.
„Hast du was entdeckt?“
Frustriert schüttelte Lukas den Kopf. „Irgendetwas hat ihn überrascht. Aber ich
könnte noch nicht mal behaupten, ob es ein positives oder negatives Gefühl
war.“
„Draußen ist auch nichts Aufschlussreiches. Er ist vor Kurzem da gewesen, keine
Frage. Aber hier gehen den Tag über so viele Leute ein und aus. Ich kann keine
Spur ausmachen, die sich vom Laden wieder entfernt.“
Mit schnellen
Schritten durchquerte Lukas die Gänge. Es gab einen kleinen Aufenthaltsraum und
eine Personaltoilette. Die Gitter vor den winzigen Fenstern waren intakt. Eine
Hintertür war nicht zu entdecken.
Lukas schüttelte den Kopf. „Er muss vorne raus sein. Wie auch immer.“
Auf dem Gehweg vor
dem Geschäft lief Jan ruhelos auf und ab. Der blonde Bluttrinker schwankte
zwischen Panik und Verzweiflung. Lukas verstand ihn nur zu gut. All seine
Instinkte befahlen ihm loszurennen, Thomas zu suchen, doch es gab keine Spur,
der er folgen konnte.
Erschwerend kam hinzu, dass es in der Nähe des Raven eine ganze Reihe beliebter
Kneipen gab. Es waren noch immer eine Menge Leute unterwegs. Je mehr Sterbliche
über den Gehweg trampelten, umso unwahrscheinlicher wurde es, dass sie eine
brauchbare Spur ausmachen konnten.
Lukas versuchte es selbstverständlich, doch er machte sich wenig Hoffnungen.
Wenn es Jan nicht gelang, die Witterung seines Gefährten aufzunehmen, würde all
seine Schulung als Jäger ihn auch nicht weiterbringen.
Die Schlussfolgerung, die er aus dem Fehlen einer brauchbaren Fährte zog,
behielt er für sich, obwohl er vermutete, dass Jan es sich selbst
zusammenreimen konnte. Wie auch immer Thomas diesen Laden verlassen hatte, es
war nicht auf seinen eigenen Füßen geschehen.
Lukas ging zurück
in das Geschäft, um die Notrufnummer der Jäger zu wählen. Bruno, der
Diensthabende im Hauptquartier, zögerte nicht lange. Er bevollmächtigte ihn,
die Formalitäten zu regeln. Als Nächstes rief Lukas die Polizei der
Sterblichen an. Die Behörden der Menschen mussten den Tod des Verkäufers
ordnungsgemäß aufnehmen, daran führte kein Weg vorbei.
Lukas sorgte
dafür, dass die Beamten die Blutspuren im hinteren Gang entfernten, anstatt sie
näher zu untersuchen. Ferner ließ er zu Protokoll nehmen, dass es Etienne
Delorme war, der zu dieser späten Nachtstunde noch etwas einkaufen wollte und
so den Toten entdeckte. Jan traute er im Augenblick nicht zu, sich mit den
Polizisten auseinanderzusetzen.
Zuletzt nahm er es auf sich, die Eigentümer des Ladens telepathisch zu
sondieren. Die türkischen Eheleute waren die Eltern des getöteten Verkäufers.
Eine zermürbende Aufgabe, durch das Leid der geschockten Menschen zu
möglicherweise relevanten Informationen vorzudringen.
Schließlich ließ er den Dingen ihren üblichen Lauf und kehrte kurz vor
Morgengrauen in Jans Wohnung zurück. Er traf auf erschöpfte und betretene
Gesichter. Er selbst fühlte sich nicht besser.
Jan lehnte am
Küchentresen und riss kleine Streifen von dem Serranoschinken ab, den Thomas
wohl zum Spargel hatte servieren wollen. Er verfütterte sie an die beiden
Katzen. Seine Umgebung schien er kaum wahrzunehmen. Die Stubentiger legten sich
mächtig ins Zeug, um an die Delikatesse heranzukommen.
„Die Polizei wird, da offenbar nichts gestohlen wurde, zuerst im Umfeld des
jungen Türken ermitteln. Ob dabei was rauskommt ...“ Lukas ließ das Ende des
Satzes offen.
„Vielleicht war es doch ein Überfall und Tommy hat die Verbrecher überrascht“,
mutmaßte Sue.
Lukas wiegte zweifelnd den Kopf. „Das ist natürlich nicht völlig
auszuschließen. Allerdings erklärt es nicht, wieso er immer noch verschwunden
ist. Was hat ihn gehindert, hierher zurück zu kommen?“ Lukas klang unsicher
beim Erörtern der Theorien, die Sue und Tony sich einfallen ließen.
„Ich spüre ihn nicht mehr, Lukas“, wiederholte Jan, ohne jemanden anzusehen.
„Ich weiß.“
Es gab nur
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