Lebenselixier
Flasche, um zu tun, was er verlangte - und
zögerte. Sie glaubte ihm kein Wort!
„Ich denke, ich
kenne dich besser als viele andere“, widersprach sie ihm.
Die Verbindlichkeit fiel von ihm ab und machte Ungeduld platz. „Glaubst du?“
Sie straffte ihre Schultern.
Ein halbes Jahr war vergangen, aber sie erinnerte sich an Helmar, Jans Vater,
als wäre es gestern gewesen. Wahrscheinlich würde sie niemals vergessen, wie
der Alte Gott herausfand, dass sein Sohn mit den Jägern gemeinsame Sache
machte. Jan, der blutend am Boden lag und versuchte, sich vor den brutalen
Tritten seines Vaters zu schützen. Ein Anblick, der umso entsetzlicher war,
weil Jan keinen Laut von sich gab.
„Es war sehr wichtig für dich, deine Gefühle zu verbergen. Das verstehe ich. Überlebenswichtig.
Aber Helmar ist tot.“
In Jans Gesicht zuckte ein Muskel, als sie den Namen aussprach. Nahm sie sich
zu viel heraus?
Sie hatte Thomas grade erst richtig kennengelernt. Womöglich sah sie ihn nie
wieder. Jan fühlte sich an, als könnte er ebenfalls ein guter Freund sein. Wenn
Thomas etwas zugestoßen sein sollte, starb auch er.
Sie glitt auf einen Hocker am Frühstückstresen, goss Wasser in ihr Glas und
suchte Jans Blick. „Du musst dich nicht verstellen, oder den harten Kerl
spielen.“
Jan starrte sie einen Moment lang ausdruckslos an. Dann lachte er und wandte
den Blick ab, während er die Arme verschränkte und sich auf den Tresen lehnte.
Tony bemerkte, wie seine Schultern sich entspannten, als er ungläubig den Kopf
schüttelte. „Ich bezweifle, dass ich als harter Kerl bekannt bin.“
„Umso weniger Grund, so zu tun. Mir hilft es über die Dinge zu reden, die mir
auf der Seele liegen. Und ich habe herausgefunden, dass es zumindest Lukas
genauso geht. – Das bleibt aber unter uns. Lukas würde ausrasten, wenn er
rausbekäme, dass ich bei seinen Freunden aus dem Nähkästchen plaudere.“
„Dein Geheimnis ist bei mir sicher.“
„Gut.“
Tony nippte an ihrem Wasser. Es war unangenehm kalt und schmeckte nach Eisen.
Jan bemerkte, wie sie unwillkürlich das Gesicht verzog. Er wandte sich um und
öffnete eines der Schubfächer.
„Wie wär´s mit Tee? Meine Mutter sagt immer, zu tiefschürfenden Gesprächen soll
man Tee trinken.“ Er stellte ein Holzkästchen mit Glasdeckel vor sie, in dem
diverse Teesorten einsortiert waren, und schaltete den Wasserkocher ein.
„Such dir was aus. Ich hab keine Ahnung, wie das Zeug schmeckt.“
23
Durst klebte
Thomas Mund zusammen. Ein hämmernder Stirnkopfschmerz hatte sich in seinem
Schädel festgesetzt. Beständige Atemnot quälte ihn. Seine verkrampften Muskeln,
besonders in den Beinen, zuckten unkontrolliert. Auch der Mangel an Außenreizen
machte ihm zu schaffen. Er lauschte angestrengt in das Schweigen, bis ihm sein
eigener Herzschlag auf die Nerven ging. Dennoch fiel er schließlich in einen
erschöpften Dämmerschlaf.
Die Tür wurde
aufgerissen, platzte in die lastende Stille wie eine Explosion. Wütende Schritte
stürmten auf ihn zu, bevor er halbwegs zu sich kam. Eine grobe Hand packte
seinen Kiefer.
Thomas gab einen protestierenden Schmerzenslaut von sich, als unnachgiebige
Finger seine Wangen zwischen die Zahnreihen pressten, damit er den Mund
öffnete. Jetzt erst nahm er den alten Mann wahr, der sich über ihn beugte und
einen Zahnarztspiegel in seinen Mund schob. Walsers Stirn lag in tiefen Falten,
die Augen versprühten Zorn.
„Verdammt!“
Sicher hätte Walser weiter geflucht, doch das vorwurfsvolle Gesicht der
farblosen Frau tauchte wieder an Thomas Seite auf und der Professor kniff
frustriert die Lippen zusammen. Er zog das Instrument aus Thomas Mund.
„Was bist du?“, zischte er drohend.
Thomas schloss die Augen, als Übelkeit seine Kehle hinaufkletterte. Der Mann
hatte offenbar Magenprobleme und eine feuchte Aussprache. Walser interpretierte
Thomas Reaktion als Weigerung. Er schlug zu und Thomas Kopf knallte gegen die
Fixierung.
„Lassen Sie mich aufstehen.“ Er rang nach Atem. „Dann sag ich´s Ihnen.“
Die blassen Augen bohrten sich in Thomas Blick. „Wir haben deine DNA-Analyse.
Du bist keiner von diesen Vampiren. Aber ein Mensch bist du auch nicht. Also
was bist du? Rede!“
Sie konnten ihn
nicht gehen lassen, so viel wusste Thomas. Auf keinen Fall konnten sie ihn gehen
lassen! Selbst wenn er den Kerl überzeugen könnte, dass er ein ganz
gewöhnlicher Mensch war. Was ihm, wenn sie seine Gene untersucht hatten, wohl
kaum gelingen würde.
Zwar wusste er nicht
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