Lebenselixier
genau, welche Veränderungen der Blutaustausch auf der
Zellebene hervorrief, doch es war klar, dass sie erheblich sein mussten.
Thomas hatte von dem Mord an den beiden Frauen gehört, der mit dem Verschwinden
des dritten Opfers in Zusammenhang stand. Diese Typen hatten offenbar wenig
Hemmungen, wenn es darum ging, lästige Zeugen zu beseitigen. Thomas Hirn
arbeitete fieberhaft, suchte nach der besten Strategie zum Überleben.
„Ich bin ein Mensch! Was das mit den Genen ist, weiß ich nicht. Ich lebe bei
den Bluttrinkern, denen das Raven gehört.“
„Was genau haben sie mit dir gemacht? Du wirst uns alles erzählen!“, forderte
Walser.
Die Frau machte Notizen, während er sprach. Da der Professor das Raven bereits
kannte, hatte er mit Sicherheit Jan und Etienne gesehen. Und ohne irgendeine
Erklärung für die genetische Veränderung würde Walser ihn kaum davonkommen
lassen.
„Einer von ihnen hat mir sein Blut eingeflößt. Seitdem lebe ich bei ihm. Ich
bin seine Blutquelle.“
„Oh, mein Gott“, flüsterte die Frau entsetzt. Thomas bemerkte, wie sie ihn
ansah, und erkannte noch etwas ganz anderes als naives Mitleid in ihrer Miene.
„Das haben wir doch bereits vermutet, Hannah, dass sie irgendeine Methode
kennen, Menschen zu korrumpieren und an sich zu binden.“ Walsers Gesicht rötete
sich vor Erregung, als er Thomas schüttelte. „Rede weiter! Nur einer von ihnen?
Welcher ist es?“ Lange, knochige Finger legten sich auf Thomas Kehlkopf. Die
Geste wirkte umso bedrohlicher, als er ohnehin schwer Luft bekam.
„Jan, der Blonde.“
„Was ist mit den Frauen? Der Chinesin und der Frau, die dieser muskelbepackte Kerl
aus Holland mitgebracht hat? Haben die auch Blut getrunken?“
„Die Frauen im Raven sind nur Angestellte. Auch die Chinesin.“
Thomas erwiderte fest Walsers flackernden Blick. Er wollte so wenig wie möglich
über den Blutaustausch preisgeben und ganz sicher keine Informationen über Tony
und Lukas ausplaudern. Doch die Hand lastete schwer auf seinem Hals und Walser
nahm seinen panischen Blick als Bestätigung.
„Die Andere gehört zu dem Holländer“, konstatierte er.
Thomas sah keine Veranlassung, ihn über Lukas Herkunft aufzuklären.
„Dann ist es tatsächlich möglich, die kannibalischen Erythrozyten oral
aufzunehmen?“
„Ich weiß nicht, was sie meinen“, krächzte Thomas.
„Nein“, bekräftigte Walser überheblich. „Das kannst du nicht wissen. Aber du
wirst mir sagen, welche praktischen Auswirkungen ihr Blut auf dich hat. Können
sie dich kontrollieren, beherrschen?“
„Ich muss bei ihm bleiben“, stieß Thomas hervor, als wäre es ein schmerzliches
Eingeständnis. Er wagte einen Seitenblick auf Hannah. Er hatte stets ein feines
Gespür dafür gehabt, wie andere Menschen auf ihn reagierten, egal ob es sich um
Männer oder Frauen handelte. Und obwohl ihre Gedanken und Empfindungen ihm auch
jetzt verborgen blieben, witterte er eine Möglichkeit. Er durfte sie sich nur
nicht verscherzen.
Hannah vergaß zu schreiben, während er weitersprach. „Bei Jan. Ich kann ihn
nicht verlassen. Wenn er Durst hat, verursachte mir das Schmerzen. Sie lassen
erst nach, wenn er sich von mir genährt hat.“
„Ist das bei dieser Frau genauso?“
Thomas antwortete nicht. Walsers Griff verstärkte sich. Der Professor runzelte
die Stirn und sprach wie zu sich selbst: „Wir dachten bisher, dass sie nur
Frauenblut trinken.“ Dann, wieder an Thomas gewandte: „Trinkt nur dieser Blonde
von dir? Oder auch der andere?“
„Nur Jan“, keuchte Thomas.
Der Alte ließ endlich von seiner Kehle ab, starrte ihn an. Thomas fixierte die
Decke. Walser wusste offenbar, dass Blutkonsum in der Regel mit Sex verbunden
war.
„Diese Kerle sind bis zur Halskrause mit Testosteron abgefüllt.“ Lauthals lachte
er. „Wer hätte gedacht, dass es Schwuchteln unter ihnen gibt?“
Hannah machte ein verschrecktes Geräusch.
„Hannah, bitte gehen sie rüber ins Labor und unterstützen sie Charles. Diese
Unterhaltung könnte unangenehm werden, für eine Dame.“
„Professor Walser, ich bin durchaus in der Lage, rein wissenschaftlich mit
diesem Thema umzugehen“, versicherte sie.
Thomas biss sich auf die Zunge, um jede Reaktion zu unterdrücken. Wo hatten diese
Gestalten die letzten zwanzig Jahre verbracht? Wahrscheinlich unter einem
Stein.
„Ich zweifle nicht an ihrer Kompetenz, Hannah. Aber denken sie auch an diesen
jungen Mann. Ich muss ihm Fragen stellen, die er in der Gegenwart einer Dame
vielleicht nicht
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