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Lebenselixier

Lebenselixier

Titel: Lebenselixier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Bender
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das
Buch wieder an sich, als Nora es schließen wollte. Das Leder des Einbands war
unregelmäßig, das Papier fühlte sich brüchig an.
Auf den ersten Seiten waren mehrere Abbildungen von Fangzähnen zu sehen. Sie
wirkten erstaunlich naturgetreu. Besonders wenn man bedachte, dass jede andere
Darstellung von Vampirzähnen, die sie zuvor gesehen hatte, falsch gewesen war.
Insbesondere die Enden wurden in der Regel viel zu dick dargestellt.
Es folgte die Zeichnung eines ausgesprochen gut gebauten, nackten Mannes. Dann
eine Abbildung, wie dieser Mann während der Kopulation das Blut einer unter ihm
liegenden Frau trank. Das einzig Unrealistische daran schien Tony das von
Entsetzen und Schmerz gezeichnete Gesicht der Frau zu sein.
Es schlossen sich Darstellungen von mehr oder minder verheilten Bisswunden an.
Der Biss eines Bluttrinkers heilte innerhalb weniger Minuten, sofern der Wirt
überlebte. Für diese Bilder mussten die Male der getöteten Opfer abtrünniger
Vampire als Vorlage gedient haben. Das war furchtbar, aber für Tony nicht
überraschend. Spätestens seit dem letzten Winter wusste sie genau, gegen welche
Gegner ihr Gefährte und seine Kollegen kämpften.
Eine weitere Bilderfolge zeigte die beschleunigte Pubertät eines
heranwachsenden Bluttrinkers. Das vermutete sie jedenfalls in diesem
Zusammenhang. Andernfalls hätte sie den Zeichner für einen Päderasten gehalten.
Allerdings schloss das Eine das Andere nicht unbedingt aus, überlegte Tony.
    Wer auch immer
diesen Band illustriert hatte, besaß offenbar umfassende Kenntnisse der
Physiologie der Bluttrinker. Aber bei dem, was sie sah, als sie die nächste
Seite umblätterte, handelte es sich eindeutig um die übersteigerte Ausgeburt
eines abergläubischen Hirns. Schließlich lebten sie nicht mehr im finsteren Mittelalter.
Die Menschen zitterten nicht länger vor mysteriösen Schrecken, die sie in der
Dunkelheit vermuteten.
    Die Abbildung
glich in weiten Teilen dem sich nährenden Bluttrinker. Jedenfalls in der
Hinsicht, dass sich sein Opfer mit schmerzverzerrter Miene unter ihm wand. Das
Gesicht des Mannes war grotesk verzerrt. Es sah aus, wie einem dieser albernen
Horrorfilme entsprungen, in denen Vampire sich in von Beulenpest befallene
Spukgestalten verwandelten. Zusätzlich ragten aus dem Mund der Kreatur nicht
zwei, sondern gleich vier wirklich erschreckende Hauer, welche die Gestalt in
die Schulter der Frau geschlagen hatte. Offensichtlich nicht um sich zu nähren,
sondern um sein zappelndes Opfer unter sich zu fixieren. Ebenso gruben sich die
dolchartigen, gebogenen Krallen des Wesens, die anstelle der Nägel aus seinen
Fingerkuppen wuchsen, ins Fleisch der Unterarme.
Am albernsten erschien Tony die Größe des dargestellten Geschlechts. Der
Zeichner hatte die Dimensionen zweifellos von irgendeinem heidnischen
Fruchtbarkeitsgott abgekupfert. Nora musste nicht ganz gescheit sein, zu
behaupten, das sei eine realistische Darstellung. Schließlich kannte Tony ihren
Lukas, in einer Weise, die über das Biblische hinausging. Und sie hatte Johann
nackt gesehen. Es war absolut nichts Abschreckendes an diesen Männern.
    „Das ist
lächerlich. Ich meine, was soll das sein? Faun für Arme, weil sie die Hörner
vergessen haben?“
„So falsch ist das gar nicht“, behauptete Johann ernst. „Es ist davon
auszugehen, dass unsere Art für die Darstellungen von Satyrn, Faunen oder dem
Teufel die Vorlage geliefert hat. Natürlich haben die Menschen ein paar
fantasievolle Details hinzugefügt.“
Tony starrte Lukas Vater an. Sie hatte den Bluttrinker als einen
verschlossenen, aber durchaus umgänglichen Mann kennengelernt. Und als viel zu
humorlos, um derart geschmacklose Scherze zu machen.
Sie drehte das Buch um und hielt dem Bluttrinker die Abbildung unter die Nase.
„Du willst sagen, als du Lukas gezeugt hast, hat das so ausgesehen?“
Johann atmete zischend aus, als hätte ihm jemand in den Bauch getreten. Tony
war sich am Rande bewusst, dass ihr Verhalten rüde war. Johann rang
offensichtlich um Fassung. Aber sie war selbst mit ihren Nerven am Ende.
„Nein! Das nicht! Aber ich habe sehr wohl so ausgesehen. Das ist der
Zustand der Transformation. Nur so sind wir zeugungsfähig.“
„Es ist wahr, Tony“, bekräftigte Nora.
Die Ernsthaftigkeit des älteren Paares besänftigte Tony kein bisschen. Im
Gegenteil. Sie wollte Schreien und um sich schlagen.
„Würdet ihr uns bitte einen Moment allein lassen.“
Tonys Stimme klang beherrscht, beinahe freundlich. Das

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