Lebenselixier
er die Heuchelei aufrechterhielt, verursachte ihm Übelkeit.
„Dieses Medikament ... es war das ursprüngliche Forschungsprojekt“, murmelte
Hannah, während sie seinem Blick auswich. Das durfte er nicht zulassen, wenn er
den gewonnenen Boden nicht gleich wieder verlieren wollte.
„Hannah, sehen sie mich an! Jetzt!“
Ihre Augen weiteten sich. Der bestimmende Ton des wehrlos Gefangenen irritierte
sie. Dennoch protestierte sie nicht. Mit jedem Tag, so schien es Thomas, geriet
ihr Verstand ein Stückchen weiter in Unordnung. Zwanghaft klammerte sie sich an
der Vorstellung fest, Walser wolle ihr bei der Suche nach ihrer Schwester helfen.
Doch die Fassade des Professors bröckelte. Dahinter kam ein Mann zum Vorschein,
der bereit war, jedes Opfer zu bringen, um seine Vision von ewiger Jugend und
ewigem Leben zu verwirklichen. Wenn Thomas sie doch nur zwingen könnte, zu
sehen, was offensichtlich war!
Die Anspannung
drohte Thomas Nerven zu zerfetzen. Er wusste nicht, wie viel Zeit ihm blieb.
Wie lange würde Jan auf seine Rückkehr hoffen? Jetzt, im Hochsommer, war der
Tod für einen Bluttrinker so erschreckend nah.
Sein eigener Körper würde sich dem Verfall nicht mehr lange entziehen können.
Normalerweise dauerte es Jahre, bis ein blutsverbundener Mensch, der nicht
weiter von seinem Bluttrinker genährt wurde, das Fehlen der Unsterblichkeit
verheißenden Nahrung tatsächlich spürte. Walser hatte seinen Organismus in den
vergangen Tagen einem größeren Stress ausgesetzt, als Jahrzehnte herkömmlichen
Alterns. Thomas fühlte die Schwäche auf sich zu kommen. Der Hunger nach Jans
Blut brannte in seinen Adern, auch wenn Walsers grobe Untersuchungen den Unterschied
noch nicht feststellen konnten.
„Ich will leben,
Hannah! Daran ist doch nichts Falsches? Ich werde Ihnen helfen, Erika zu
finden. Ich schwöre es! Ich weiß, wie man einen bestimmten Bluttrinker
ausfindig macht. Walser interessiert sich doch gar nicht für Ihre Schwester.
Was hat er denn bisher getan, um sie zu finden?“
Damit ging er ein
Risiko ein. Zugleich war es seine einzige Chance. Nur wenn Hannah die Hoffnung
auf Walser endlich losließ, konnte er sie zum Handeln überreden.
Thomas sagte die Wahrheit. Er war bereit dieser Frau zu helfen, ihre Schwester
zu finden. Ob der Rat sie zum Tod verurteilen würde, wegen ihrer
Mittäterschaft, war schwer abzusehen. Aber Thomas war willens, dafür zu sorgen,
dass sie Gelegenheit erhielt, mit Erika zu sprechen. Was auch immer dabei
herauskommen mochte.
„Charles hat
etwas sehr Verwerfliches getan“, brachte Hannah hervor. „Aber Gott hat ihm
vergeben.“
Thomas starrte zu den verkrampften, in ein konservatives Sommerkostüm gehüllten
Schultern hinauf. Seine eigenen Muskeln zuckten unkontrolliert. Mit aller
Gewalt gelang es ihm, den Anfall zurückzudrängen. Wie lange konnte er diesen
religiös verbrämte Irrsinn noch ertragen?
Beherrsche dich. Nur noch eine Weile. Immer von einem Augenblick zum
nächsten.
„Gott kann uns alles vergeben“, krächzte er.
„Cross war gierig. Er hätte alles haben können, aber es ging ihm nicht schnell
genug. Deshalb hat er aus einem vielversprechenden Medikament eine Droge
entwickelt.“
Über Cross zu sprechen fiel Hannah sichtlich leichter, als über ihre Schwester.
„Was ist passiert?“, hakte Thomas nach. „Was hat Walser damit zu tun?“
„Professor Walser hatte schon vor Jahren bei Goldshield-Pharmazeutik gekündigt.
Er wollte dem Kommerz den Rücken kehren und wirklich bedeutsame Dinge bewirken.
Er war es, der Cross als Nachfolger für seinen Posten in der Anti-Aging-Sparte
empfahl. Goldshield investierte hohe Summen in das Medikament, das Cross
entwickeln sollte. In hoher Dosierung wirkte es wie ein starkes
Aufputschmittel. Das brachte ihn wohl auf die Idee, das Zeug an Jugendliche zu
verscherbeln.“
Thomas wollte den Kopf schütteln, obwohl die Metallgitter ihn daran hinderten.
Das ergab noch immer wenig Sinn für ihn. Dennoch unterbrach er Hannah nicht. So
redselig war sie nie zuvor gewesen.
„Aber Cross flog auf, bevor er ernsthaften Schaden anrichten konnte. Trotzdem
hatte Goldschield damit ein Druckmittel gegen den Professor in der Hand. Er
hatte Cross schließlich empfohlen. Deshalb musste er seine eigenen Studien zurückstellen
und wieder für den Konzern arbeiten. Allerdings in seinem eigenen Labor.
Er forschte damals mit Menschen, die bis ins hohe Alter besonders gesund und
jugendlich bleiben. Diese erste Kreatur – er nannte sich Morris - kam
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