Lebenslang Ist Nicht Genug
winziges Prickeln unter der Fußsohle, das sich mit rasender Geschwindigkeit ausbreitete, erst an ihrem Bein und dann an ihrem ganzen Körper emporzüngelte, bis der Schmerz ins Gehirn einzudringen schien und in ihren Eingeweiden wütete, als habe sie tausend winzige Nadeln verschluckt. Ihr wurde übel, die Knie wankten und drohten unter ihr wegzusacken. Jack fing sie gerade noch rechtzeitig auf.
»O mein Gott, Gail!« schrie er. »Was hast du getan?«
Sein Rufen lockte ein paar Spaziergänger herbei, mit deren Hilfe er Gail in den Sand bettete. Gemeinsam versuchten sie, ihren Fuß von der zerquetschten Gallertblase zu befreien, die sich jedoch unlösbar festgesaugt hatte.
»Sand«, rief jemand. »Packt’ne Menge Sand drauf.«
Gail sah noch, wie man die widerliche Masse von ihrem Fuß löste, dann verlor sie das Bewußtsein.
»Da hast du uns ja ein schönes Abschiedsgeschenk beschert«, sagte ihre Mutter, als Gail die Augen öffnete.
»Wie spät ist es?« Gail richtete sich im Bett auf. Sie war in der Wohnung ihrer Eltern.
»Gleich vier.«
»Und euer Flugzeug?«
»Die Maschine geht erst um halb sieben«, sagte ihr Vater, der auf der anderen Seite des Bettes stand.
»Wir müssen aber nicht heute fliegen«, versicherte ihre Mutter. »Wir können genausogut noch ein paar Tage bleiben.«
»Nein«, widersprach Gail. »Mir geht’s schon viel besser, wirklich.« Bei dem Gedanken an die klebrige blaue Masse zwischen ihren Zehen zuckte sie angewidert zusammen.
»Tut’s wieder weh?« fragte ihre Mutter. »Der Arzt sagte doch, er habe dir ein schmerzstillendes Mittel gegeben.«
»Nein, ich spüre gar nichts«, erwiderte Gail wahrheitsgemäß. »Was denn für ein Arzt?«
»Wir haben dich ins Krankenhaus gebracht«, sagte Jack von der Tür her. »Du hast Glück gehabt«, fuhr er monoton fort. »Der Arzt meinte, es hätte wesentlich schlimmer ausgehen können. Aber du mußt ein paar Tage im Bett bleiben, und wahrscheinlich wirst du dich ziemlich elend fühlen.«
»Du mußt in Zukunft besser auf dich achtgeben, Liebling«, mahnte ihre Mutter traurig.
Gail spürte, wie ihr die Tränen über die Wangen liefen. »Es tut mir ja so leid«, sagte sie. Ihre Mutter ergriff ihre Hand, ihr Vater beugte sich zu ihr hinunter und tätschelte ihre Schulter. Nur Jack blieb unbeweglich im Türrahmen stehen, machte keinerlei Anstalten, sie zu trösten, sondern blickte sie nur stumm an. Sie wußte, daß er ihrer Entschuldigung keinen Glauben schenkte.
34
In den zwei Tagen, die sie das Bett hütete, lernte Jack ein Ehepaar kennen, das erst vor kurzem nach Florida gezogen war. Sie verbrachten viel Zeit miteinander und spielten Tennis, ja sogar Golf, wofür er sich früher nie interessiert hatte. Gail hörte ihn ohne sonderliche Anteilnahme von Sandra und Larry Snider schwärmen, bis sie begriff, daß er sie in ihre gemeinsamen Unternehmungen mit einbeziehen wollte.
»Mein Fuß tut immer noch weh«, wehrte sie ab.
»Morgen ist er wieder in Ordnung. Außerdem spielen wir’ne Doppelpartie. Da brauchst du nicht viel zu laufen.«
»Ich spiele aber doch so schlecht. Diese Leute wollen hernach bestimmt nie wieder mit dir auf den Tennisplatz.«
»Ein Spiel ist besser als keins.« Damit war für ihn das Thema beendet.
»Was sind das eigentlich für Leute?«
»Sie stammen aus Toronto. Sie hatten die langen Winter dort satt, zudem gingen seine Geschäfte nicht eben rosig. Da beschlossen sie, den ganzen Kram hinzuwerfen und hier unten noch mal von vorn anzufangen.«
»Haben sie Kinder?«
»Nein.«
»Und was ist er von Beruf?«
»Dachdecker. Er ist selbständig. Sie ist in seinem Geschäft Buchhalterin und Sekretärin in einer Person. Reizende Leute. Sie sind Mitglieder in Golfclub. Sie ist wohl von Haus aus ziemlich vermögend. Jedenfalls hab’ ich so den Eindruck.«
»Interessierst du dich deshalb plötzlich so für Golf?« Gail lächelte.
»Sie haben uns für morgen nachmittag auf ein Spiel in ihren Club gebeten. Und abends sind wir bei ihnen zum Essen eingeladen.«
»Klingt vielversprechend.«
»Ich bin sicher, es wird sehr nett. Es ist bestimmt viel besser für dich, unter Menschen zu kommen und Sport zu treiben, als den ganzen Tag bloß in der Sonne zu liegen.«
Hört sich ganz nach Ferienlager an: morgens Tennis, nachmittags Golf, dachte Gail. Alle Mann raus aus dem Wasser!
Sandra und Larry Snider waren ein gutaussehendes Paar Anfang Vierzig. Sie hatte kurzgeschnittenes, dunkles Haar und genau die Figur, die
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