Lebenslang
aus, um der Frau über den Kopf zu streichen, aber die Afrikanerin wich zurück. Ihre Freundin, deren Haut ebenfalls schwarz wie die Nacht war, klappte ihr Telefon auf. Armreifen klirrten. Moschus und Patschuli. Ein Flugzeug am Himmel.
Als der Notarzt endlich eintraf, hatte Yvonne bereits das Bewusstsein verloren.
V or zwei Tagen hat die Polizei Julias Leiche freigegeben. Jeder, den es interessierte, hat nachlesen können, wie sie umgebracht wurde. In allen Details. Es war eine nachträgliche Schändung der besonderen Art. Natürlich hat die Staatsanwaltschaft versichert, dass die Herausgabe des Berichts eine Panne gewesen sei. Aber sie macht sich nicht die Mühe, sich bei uns deswegen zu entschuldigen.
Nur Wieland hat die Stärke, sich um alle Formalitäten der Beerdigung zu kümmern. Wir müssen nur die Rechnungen begleichen. Ich habe diesem Tag mit Schrecken entgegengesehen, denn Astrid hat sich immer mehr zurückgezogen. Jede Hilfe lehnt sie ab. Sie wird immer weniger, isst kaum noch, trinkt so gut wie nichts. Sie ist alt geworden, das Haar ist stumpf, ihre Knochen stehen vor, die Augen liegen tief in ihren Höhlen. Ich habe nicht die Kraft, ihr zu helfen. Immer wieder schlage ich ihr vor, einen Psychologen zurate zu ziehen. Vielleicht diesen Bertram, den wir so unfreundlich hinausexpediert haben. Auch Wieland ist entsetzt. Er ist der Einzige, mit dem sie noch spricht. Aber das, was sie von sich gibt, scheint nicht viel Sinn zu ergeben. Sagt ihr Bruder.
Mein Vater ist nicht gestorben, aber er wird an der Beerdigung nicht teilnehmen können. Genau wie meine Mutter. Es geht über ihre Kräfte.
Die Beisetzung findet an einem Freitag statt. Zuvor gibt es einen Gottesdienst. Wieland hat meiner Frau über ein Versandhaus ein neues schwarzes Kleid bestellt, da ihr die alten Sachen nicht mehr passen, so sehr hat sie abgenommen. Er ist bei ihr und hilft ihr, es anzuziehen.
Wir hoffen, dass es eine schlichte, würdige Feier wird. In den Todesanzeigen, die wir in den verschiedenen Zeitungen aufgegeben haben, bitten wir ausdrücklich darum, von Beileidsbekundungen abzusehen. Es wird auch keinen anschließenden Kaffee geben, schließlich ist nicht irgendeine alte Oma gestorben, mit deren Ableben man immer rechnen musste und deren erfülltes Leben man gemeinsam noch einmal Revue passieren lassen kann. Ich will nicht mehr über Julia sprechen. Nicht mit Freunden, nicht mit Verwandten und mit Fremden schon gar nicht.
Es ist lange her, dass ich mir eine Krawatte gebunden habe, und ich benötige zwei Versuche, bis sie einigermaßen sitzt. Wieland kommt mit Astrid die Treppe herunter. Natürlich ist ihr auch das neue Kleid viel zu weit. Aber ich sage nichts. Ich bin froh, wenn dieser Tag vorüber ist.
Wir haben uns lange überlegt, wie wir Julia zu Grabe tragen wollen. Wir, das heißt Wieland und ich. Astrid hat auch dazu geschwiegen, allenfalls mit der Schulter gezuckt, so als sei es ihr letztendlich egal.
Ich wollte keine Urnenbeisetzung. Julia sollte nicht verbrannt werden. Ihr Körper sollte, soweit das noch möglich war, intakt bleiben.
Wir fahren mit Wielands neuem Auto. Den alten Lieferwagen hat er nach einem Kolbenfresser an einen Schrottplatz verkauft. Ich sitze mit Astrid hinten und halte ihre Hand. Sie lächelt mich einmal traurig an, dann starrt sie wieder nach vorne.
Der Weg zur Kirche ist nicht weit. Eigentlich ist es Unsinn, mit dem Auto dorthin zu fahren, da es ohnehin keinen Parkplatz geben wird. Aber von da aus bis zum Friedhof ist es noch ein gutes Stück.
Der Platz vor der Kirche ist voll mit Menschen. Ich bin erstaunt, wie viele es sind. Nicht alle werden einen Platz finden. Ich sehe die Matuschkas mit ihren Zwillingen, der Hund ist nicht mit dabei. Oliver steht bei ihnen. Die meisten anderen, mit Ausnahme der Nachbarn und Freunde, kenne ich nur vom Sehen. Die Gespräche verstummen, als wir aussteigen. Eine Gasse wird frei gemacht, als wären Astrid und ich ein Königspaar auf dem Weg zur Krönung.
Die Bänke in der Kirche sind bereits zur Hälfte besetzt. In den letzten Reihen sitzen die alten Frauen, die ohnehin auf alle Beerdigungen gehen, so als würden sie für den eigenen Ernstfall üben. Der Pfarrer, ein anderer als der, der uns aufgesucht hat und in dessen Gottesdienst ich noch nie im Leben war, spricht uns sein Beileid aus. Astrids Beine knicken ein, als sie den weißen, blumengeschmückten Sarg sieht, vor dem ein riesiges Bild unserer Tochter steht. Es ist das Foto, das am Ende des
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