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Lebenslang

Lebenslang

Titel: Lebenslang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Schwindt
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Tod nahe wie nie gewesen war. Natürlich wusste sie, dass so ein Kollaps jederzeit wiederkehren konnte, und wenn er dann auch noch mit einem epileptischen Anfall zusammenfiele, wollte sie nicht allein sein.
    Yvonne hatte Thomas angerufen, und er hatte sich über die Einladung gefreut. Axel und Bianca hatten ebenfalls zugesagt, sodass sie an diesem Abend zu fünft sein würden.
    Es war nicht so, dass Yvonne wegen dieser Feier in irgendeiner Art und Weise ausgelassen gewesen wäre. Eigentlich machte sie sich noch immer nichts aus Gesellschaft, aber sie glaubte, dass sie einigen Leuten in ihrem Leben etwas schuldig war. Dass sie jetzt anfing, in dieser Hinsicht an sich zu arbeiten, mochte vielleicht ein wenig spät sein, aber sie hatte sich viel zu lange in etwas eingeigelt, das sie ihr Leben genannt hatte. Ein Leben, das so gleichförmig geworden war, dass die Zeit wie beim schnellen Vorlauf eines Videos an ihr vorübergerast war.
    Veränderung tat immer weh. Wenn es so einfach wäre, eine Diät zu machen und gesünder zu essen, würde es wahrscheinlich jeder machen. Der Trick war, eine einmal getroffene Entscheidung trotz des eigenen Widerwillens auch in die Tat umzusetzen. So gesehen, war sie heute stolz auf sich. Ob sie es auch am Abend noch sein würde, wenn alle am Tisch saßen und Yvonne nicht einfach gehen konnte, stand auf einem ganz anderen Blatt Papier.
    Sie hatte Wein gekauft, roten und weißen. Thomas machte auf sie den Eindruck, als wäre er eher der Typ, der Bier trank. Sie überließ es Florian, die richtige Sorte auszusuchen.
    Den ganzen Nachmittag stand sie in der Küche und versuchte sich an einigen Rezepten aus einem Kochbuch, das sie bei dieser Gelegenheit auch neu erworben hatte.
    So ganz konnte sie nicht auf Florians Hilfe verzichten. Er musste das Gemüse putzen und schneiden, die Kartoffeln schälen und die Zutaten für den Nachtisch abwiegen, sodass Yvonne sie nur zusammenrühren musste. Immer wieder musste sie sich in ihr Schlafzimmer zurückziehen, sich für zehn Minuten aufs Bett legen und die Gedanken schweifen lassen. Aber sie gab nicht auf, und sie sah, wie stolz ihr Sohn auf sie war.
    Yvonne hatte die Einladung für 18 Uhr ausgesprochen und gleichzeitig betont, dass an diesem Abend, obwohl die deutsche Fußballnationalmannschaft spielte, der Fernseher ausbleiben würde. Um Viertel vor sechs klingelte es an der Tür. Yvonne hatte mit Thomas gerechnet, aber es waren Axel und Bianca, die mit einem großen Blumenstrauß vor der Tür standen.
    Florian nahm ihnen den Strauß ab und stellte ihn in eine Vase. Bianca umarmte Yvonne, herzlich und vorsichtig, denn im Vergleich zu Axels Frau, die gern und viel aß und nicht viel von Sport hielt, wirkte die zierliche Yvonne zerbrechlich wie eine Glasballerina.
    »Deine Haare wachsen ja wieder nach!«, sagte Axel.
    »Schade, nicht wahr?«, sagte Yvonne. »Ich überlege mir wirklich, ob ich sie mir überhaupt wieder wachsen lassen soll. So ist es eigentlich viel praktischer.« Sie strich sich mit der flachen Hand über den Kopf, wobei es ein leise raspelndes Geräusch gab.
    »Tu das nicht«, sagte Bianca. »So siehst du aus, als hätte man dich gerade erst aus einem Straflager entlassen.«
    Axel klatschte müde in die Hände. »Große Klasse. Wunderbar.«
    Bianca gehörte zu den Menschen, die ihr Herz auf der Zunge trugen. Das war etwas anstrengend, denn sie hatte diese Eigenart zu ihrem Markenzeichen erhoben. Und so sprach sie jeden Gedanken aus, der ihr durch den Kopf schoss. Und für eine gute Pointe war sie immer bereit, ihre Großmutter zu verkaufen.
    Axel war der ruhigere Teil des Pärchens. Er war pragmatisch, ruhig und ausgeglichen. Auch daran merkte man, dass er zehn Jahre älter war als seine Frau. Er arbeitete als Fotograf, immer noch. Einmal hatte er erzählt, dass er für etliche Jahre Berichterstatter für verschiedene Nachrichtenagenturen gewesen war. Er hatte in dieser Zeit alle Kriegsschauplätze der Welt aus nächster Nähe kennengelernt. Bianca hatte ihn vor zwei Jahren vor die Entscheidung gestellt: entweder ihre Ehe oder sein Job. Axel hatte sich für das Erste entschieden. Sehr schnell sogar. Er hatte einmal erzählt, dass dieser Beruf wie eine Droge war, von der man nur schlecht wieder loskam. Ohne Hilfe von außen schon mal gar nicht. Biancas Ultimatum war der Grund gewesen, auf Entzug zu gehen. Zwar arbeitete er immer noch für Zeitungen, aber er reiste nicht mehr in jedes Krisengebiet der Welt. Das Aufregendste, was er nun

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