Lebenslang
erlebte, waren Straßenfeste in Bockenheim und ermüdende Theaterpremieren. Bianca hatte einmal angedeutet, dass das, was Axel im Irak, in Somalia und Afghanistan gesehen und fotografiert hatte, sein Wesen verändert hatte und immer noch veränderte. Auch er nahm irgendwelche Tabletten und ging zu einer Therapie. Irgendwie, so dachte Yvonne, sind wir doch alle Mängelexemplare.
Thomas klingelte eine Viertelstunde später an der Tür, pünktlich um sechs. Er hatte keine Blumen gekauft, sondern hielt einen weißen Pappkarton in den Händen.
»Ich wusste nicht, ob du schon etwas für den Nachtisch hattest. Deswegen habe ich bei meinem Lieblingstürken etwas gekauft.«
Yvonne hob den Deckel. »Baklava!«
»Ja. Und so süß, dass man davon Zahnschmerzen bekommt.«
Yvonne stellte den Karton auf den Küchentisch und führte Thomas ins Esszimmer.
»Darf ich vorstellen?«, sagte sie. »Das ist Thomas. Thomas, das sind Bianca und Axel, sie wohnen ein Stockwerk unter mir.«
Sie gaben einander die Hand.
»Und das hier«, sagte Yvonne und legte in einer mütterlichen Geste den Arm um die Hüfte ihres Sohnes. »Das ist mein Sohn Florian.«
»Hallo. Nett, dich kennenzulernen«, sagte Thomas und schüttelte ihm die Hand.
Yvonne beobachtete ganz genau die Blicke, die die beiden austauschten. Thomas’ Gesicht war überrascht, wenn auch nur für einen kurzen Moment. Florian hingegen brauchte länger, bis er seine Mimik wieder so weit im Griff hatte, dass sie seine Unsicherheit nicht verriet. Yvonne hatte ihm nichts von Thomas erzählt. Warum auch, es war nichts zwischen ihnen gelaufen. Sie waren einfach nur Freunde. Wenn überhaupt.
»Entschuldigt bitte, aber ich bin als Gastgeberin etwas aus der Übung. Wem darf ich denn etwas zu trinken anbieten? Ich habe Wein, Bier und Mineralwasser.«
»Für mich bitte ein Wasser«, sagte Thomas.
»Für mich bitte auch«, sagte Bianca.
»Ich nehme ein Bier«, sagte Axel. Yvonne wollte in die Küche gehen, doch Florian kam ihr zuvor. »Ich mach das«, sagte er und war schon verschwunden.
»Darf ich fragen, woher Sie sich kennen?«, fragte Bianca.
»Ich bin Yvonnes Taxifahrer«, sagte er und lächelte sie freundlich an.
»Ach, wirklich?«, sagte sie, als wüsste sie nicht, ob er sich über sie lustig machte oder nicht.
»Doch, das ist durchaus wörtlich zu nehmen«, sagte Thomas. »Wir haben so etwas wie einen Transportvertrag.« Er sah Yvonne an, und sie nickte.
»Ja, das trifft es ganz gut.«
Bianca schien sich noch immer nicht sicher zu sein, ob man einen Witz auf ihre Kosten riss.
»Das muss ich jetzt aber nicht verstehen, oder?«, sagte sie vorsichtig.
Thomas lachte. »Nein.«
Bianca nickte bedächtig und ließ die drei alleine.
»Ojemine«, sagte Thomas. »Ich vermute, wir haben sie ein wenig verwirrt.«
»Ist schon in Ordnung. So hat sie wenigstens etwas, worüber sie sich mit Axel die nächsten Tage unterhalten kann.«
»Florian ist wirklich Ihr Sohn?«
»Neunzehn Jahre alt und studiert im zweiten Semester Jura. Er ist seinem Vater sehr ähnlich.«
»Sie sind geschieden?«, fragte Thomas.
»Nein, verwitwet.«
»Oh, das tut mir leid.«
»Robert ist jetzt schon so lange tot, dass Florian kaum noch weiß, wie er ausgesehen hat. Dabei muss er nur in den Spiegel schauen.« Inzwischen zog ein verführerischer Duft aus der Küche herüber. Das Essen konnte gleich aufgetragen werden. »Was ist mit Ihnen? Sind Sie verheiratet?«
»Nein, nicht mehr. Ich bin nicht der Typ für etwas Festes. Da geht es mir wie Ihnen.«
»Wie mir?«
»Na ja, Sie machen nicht gerade den Eindruck, als seien Sie im Moment verzweifelt auf der Suche nach einer neuen Beziehung.«
»Verzweifelt schon mal gar nicht, da haben Sie recht.« Es fiel ihr auf, dass sie seine Anwesenheit in der Küche nicht störte. »Hätten Sie Lust, das Brot zu schneiden? Warten Sie, ich gebe Ihnen ein Messer und einen Korb.«
»Wie fühlen Sie sich heute?«, fragte Thomas, als er das Baguette in daumendicke Scheiben schnitt.
»Ganz ehrlich?«, sagte Yvonne und kramte in einer Schublade. »Schrecklich. Am liebsten würde ich alle rausschmeißen und die Vorhänge zuziehen.«
»Und warum tun Sie es nicht?«, fragte Thomas.
Yvonne hatte endlich die Kelle gefunden und rührte mit ihr einen großen Topf um. »Weil ich so eigentlich nicht bin«, sagte sie, nur um sich gleich darauf zu verbessern. »Na ja, weil ich so eigentlich nicht war. Wenn Sie möchten, kann ich Ihnen nachher einmal ein paar Bilder von mir
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