Lebenssonden: Roman (German Edition)
»Ich bin Chryse Haller.«
»Sie ehren uns mit Ihrer Anwesenheit. Gibt es sonst noch jemanden an Bord Ihres Schiffs?«
»Nein, Kapitän. Ich bin allein.«
»Ich hoffe, dass Sie uns die rabiate Methode verzeihen werden, mit der wir Sie an Bord geholt haben. Wir mussten aber so schnell wie möglich mit jemandem von der Erde Kontakt aufnehmen.«
»Ich verstehe.«
»Sie sind zu freundlich …«
»›Bürger‹ ist zurzeit in Mode, Sir. Das gilt sowohl für Männer und Frauen, und zwar unabhängig vom Familienstand. Die älteren Anredeformen werden aber auch noch verwendet.«
»Danke, Bürgerin Haller. Wie Sie sehen, haben wir Alphaner noch viel aufzuholen.«
»Alphaner?«
»Ist nicht so sperrig wie Procyoner. Das ist vom langen Namen unseres Heimatsterns abgeleitet, Alpha Canis Minor.«
»Vielleicht möchte Bürgerin Haller sich dieses schweren Anzugs entledigen«, sagte Kaplan Ibanez.
Kapitän Braedon nickte. »Wir haben eine Kabine für Sie hergerichtet, wenn Sie sich umziehen möchten. Haben Sie denn Schiffsbekleidung?«
»An Bord des Ausflugsboots. Vielleicht könnte jemand sie für mich holen.«
Braedons Habitus änderte sich plötzlich. »Simmons, MacKenna, Abmarsch!«
Er drehte sich zu Chryse um. »Es sind noch zwei Stunden bis zum Abendessen. Würden Sie mir die Ehre erweisen und zum Dinner mein Gast sein?«
»Ich freue mich schon darauf, Kapitän.«
Chryse Haller lag in einer riesigen Badewanne und schwelgte in ihrem ersten heißen Bad seit drei Tagen. Ausflugsboot der Cadillac-Klasse oder nicht, es hatte nur die primitivsten sanitären Einrichtungen gehabt. Sie ließ sich seit zwanzig Minuten einweichen und dachte über die Implikationen ihrer Situation nach, als jemand an die Kabinentür klopfte. Eilig stieg sie aus der Wanne, hüllte sich in einen flauschigen Bademantel und knotete ihn zu. Dann patschte sie barfuß über das mit Teppichboden ausgelegte Deck der geräumigen Kabine, fummelte am ungewohnten mechanischen Türöffner herum und ließ die Tür zur Hälfte in der Wand verschwinden.
Eine junge Frau stand im Gang; in einer Hand baumelte Chryses Reisetasche. Die Besucherin hatte graugrüne Augen, glänzendes schwarzes Haar, eine Stupsnase und eine sehr frauliche Figur. Sie schätzte das Alter des Mädchens auf zwanzig plus minus zwei Jahre.
»Ach, hallo.«
»Hallo«, sagte das Mädchen mit angenehm herber Stimme. »Ich bin Terra Braedon.«
Chryse reichte ihr die Hand.
»Mit dem Kapitän verwandt?«
»Er ist mein Vater.«
»Freut mich, Sie kennen zu lernen, Terra. Ich bin Chryse Haller.«
»Vater hat mich gebeten, Ihnen Ihre Kleidung zu bringen und alle Fragen zu beantworten, die Sie vor dem Essen vielleicht noch haben.«
Chryse schob die Kabinentür ganz zurück und bedeutete ihrem Gast, einzutreten. »Ich fühle mich geehrt, dass Sie sich solche Umstände gemacht haben.«
»Ach, das waren keine Umstände«, sagte das Mädchen eilig. »Er wusste, dass es kein Halten mehr für mich gäbe, wenn ich hörte, dass eine Frau von der Erde an Bord war.« Das Mädchen betrat die Kabine, reichte Chryse die Tasche und schloss die Tür hinter sich.
Chryse lächelte. Die Begeisterung des Mädchens war ansteckend. »Ich hatte den Eindruck, dass dieses Schiff eine reine Männerbesatzung hätte.«
»Das stimmt eigentlich auch. Außer PROM bin ich die einzige Frau an Bord.«
»PROM?«
»Der Computer unseres Schiffs. Ein direkter Nachkomme des ursprünglichen STELLVERTRETER-Moduls.«
»Sie sprechen von diesem Computer, als ob er lebendig sei.«
»Sie ist kein ›er‹. PROM ist in jeder Hinsicht eine Frau, nur dass sie keine Drüsen hat. Sie denkt, sie ist sich ihrer eigenen Existenz bewusst, sie hat Gefühle. Manchmal spielt sie sogar ein wenig verrückt. Nicht wahr?« Das war scheinbar in die dünne Luft gesprochen.
»Das kommt davon, wenn man sich mit euch Typen aus Fleisch und Blut einlässt«, drang eine Frauenstimme aus einem Schott-Lautsprecher.
Chryse schaute irritiert auf. »Hat der Computer mich etwa beobachtet?«
»PROM beobachtet jeden jederzeit. Das ist ihre Funktion. Möchten Sie sie treffen?«
»Ja, das möchte ich.«
»PROM, darf ich dir Chryse Haller von der Erde vorstellen? Chryse, PROM.«
»Guten Abend, Bürgerin Haller. Es ist mir eine Ehre, Ihre Bekanntschaft zu machen.«
»Ganz meinerseits, PROM. Meine Leute haben schon an der Konstruktion eines selbst-bewussten Computers gearbeitet, als Ihr Vorfahr das System verließ. Wir haben bisher aber nicht viel
Weitere Kostenlose Bücher