Lebenssonden: Roman (German Edition)
Glück gehabt.«
»Wahre künstliche Intelligenz umfasst die Entwicklung hochkomplexer Algorithmen. Ich wäre auch außerordentlich überrascht, wenn Sie es in der kurzen Zeit geschafft hätten, die wir fort waren.«
» Kurze Zeit ? Es waren dreihundert Jahre!«
Terra lachte. »Sie werden ihr verzeihen müssen, Chryse. Ihre Erinnerungen reichen Tausende von Jahren zurück. Manchmal sieht sie die Dinge in zu großen Zusammenhängen – stimmt’s, PROM?«
»Ich ziehe es vor, mich als reifer zu betrachten als meine ephemeren Partner.«
»Und auch gar nicht eitel.«
»Natürlich nicht. Ich möchte unserem Gast eine Frage stellen.«
»Ist Ihnen das recht, Chryse? Sie müssen nämlich nicht antworten. PROM ist leider ganz schön neugierig.«
»Fragen Sie«, sagte Chryse.
»Mich würde interessieren, weshalb Sie allein so weit von zu Hause weg sind.«
»Ich mache Urlaub. Ich war neugierig wegen der Sonde, und weil ich gerade in der Nähe war, entschied ich mich, einen Blick darauf zu werfen.«
»Wenn das der Fall ist …«
»Sag gute Nacht, PROM«, unterbrach Terra sie und wandte sich Chryse zu. »Sie quatscht einen gewissermaßen tot, wenn man sie gewähren lässt.«
»Es hat mich gefreut, Sie kennen zu lernen, Bürgerin Haller«, erwiderte der Computer. »Rufen Sie, wenn Sie mich brauchen.«
»Gute Nacht, PROM.«
Chryse drehte sich zum Bett um, wo ihr Raumanzug wie ein kopfloses schlafendes Ungeheuer ausgebreitet lag. Sie zog ihn von der Decke und legte ihn vorsichtig an einer Stelle ab, wo sie nicht darüber stolpern würde. Dann knotete sie den Bademantel auf, streifte ihn ab und öffnete die Reisetasche. Sie überflog die spärliche Reservekleidung, die sie von Henning’s Roost mitgenommen hatte, als sie ein leises Keuchen irgendwo hinter sich hörte.
Sie drehte sich um und sah sich Terra gegenüber. Das Mädchen hatte den Blick krampfhaft auf einen Abschnitt des Stahlschotts gerichtet und wurde langsam rot. Chryse runzelte die Stirn und begriff dann.
»Habe ich etwas falsch gemacht? Wie stark sind eure Tabus in Bezug auf Nacktheit?«
Das Mädchen wurde noch röter. Dann sagte sie sehr überlegt: »Bei uns entkleidet man sich nicht vor Fremden. Ist das bei Ihnen denn nicht genauso?«
Chryse zuckte die Achseln. »Meistens nicht.« Chryse wählte einen Schiffsanzug aus, stieg hinein und strich die sticktite -Ränder mit der Hand glatt. Terras Reaktion hatte ihren Verdacht erhärtet, dass die Gesellschaft der Alphaner technologisch fortgeschritten (wofür Procyon’s Promise ein Beweis war), soziologisch aber zurückgeblieben war. Das war freilich keine Überraschung – das galt für die meisten Pioniergesellschaften.
»In Ordnung, Sie können wieder herschauen.«
Terra drehte sich zu ihr um – offenkundig erleichtert, aber auch leicht verlegen. »Ich hoffe, Sie halten uns jetzt nicht für Hinterwäldler.«
»Nein, natürlich nicht. Andere Planeten, andere Sitten. Ich hoffe meinerseits, dass ich Sie mit meinem Verhalten nicht gekränkt habe.«
»Gar nicht!«
»Gut. Wollen wir dann Freundinnen sein?«
»Sehr gern.«
Chryse machte sich weiter schön, während sie mit Terra plauderte. Terras Wunsch zu reden ermöglichte es Chryse, die Unterhaltung nach Belieben zu steuern. Nach zehn Minuten oder so lauschte sie dann Terras Zusammenfassung der Geschichte der Alphaner-Kolonie.
»… Natürlich waren die Gründer schrecklich enttäuscht, als sie entdeckten, dass die Basis der Sternenreisenden nicht nur verlassen, sondern buchstäblich leer war. Eine Minderheit wollte gleich wieder zur Erde zurück, doch die Mehrheit entschied sich dafür, zu bleiben und die zurückgelassenen Sternenschiffe zu studieren.
In diesen frühen Jahren herrschte ziemliche Hektik. Die Gründung der Kolonie hatte natürlich Vorrang vor der Forschung, sodass in dieser Hinsicht kaum Fortschritte erzielt wurden. Es dauerte zwanzig Jahre, um die Aufzeichnungen über die Schiffe zu finden, und weitere dreißig, bevor irgendjemand sie zu lesen vermochte. Dann brauchten die Wissenschaftler noch einmal anderthalb Jahrhunderte, um die Promise zu bauen. Die erste Ladung Stahl wurde in dem Jahr gestartet, als ich geboren wurde.« Terra warf einen Blick auf das Chronometer über dem Bett. »Wir sollten nun aber gehen.«
Chryse schaute auf die roten Ziffern, die im Spiegel reflektiert wurden. »Wir haben noch viel Zeit.«
»Ich dachte, Sie wollten sich noch das Schiff anschauen, bevor wir nach oben gehen.«
Chryse grinste und
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