Lebensstrahlen
reisefertig. Es wäre gut, wenn Monsieur sich entschließen könnte. In drei Tagen geht die ›Touraine‹ von Le Havre nach Quebeck in See.«
Noch eine kurze Minute der Überlegung, dann hatte Bigot sich zu einem Entschluß durchgerungen.
»Sie haben recht, François, wir wollen keine Zeit mehr verlieren. Wo wollen wir uns in Le Havre treffen?«
»Wenn es Monsieur recht ist, im Hotel de la Gare.« – Die Tür fiel hinter François ins Schloß. Behaglich ließ sich Bigot in einen Polstersessel sinken. Die Banknoten, die François von seiner Reise mitgebracht hatte, gaben ihm das Gefühl einer angenehmen Sicherheit.
*
Auf der halben Treppe begegnete François Reinhard. Er wollte an ihm vorbeieilen, denn er hatte ein instinktives Mißtrauen gegen den Deutschen. Der aber hielt ihn an und fragte:
»Heute nicht in Livree, Monsieur François? Haben Sie Ihren freien Tag? Oder wollen Sie verreisen?«
»Ich habe eine andere Stellung angenommen. Ich gehe von Monsieur Bigot fort«, erwiderte François und ging weiter die Treppe hinunter.
Nachdenklich setzte Reinhard seinen Weg fort.
Bigot fuhr in seinem Sessel zusammen, als die Wohnungsglocke ertönte. Er entschloß sich, kein Lebenszeichen von sich zu geben. Dreimal, viermal … fünfmal schrillte die Glocke durch die ganze Wohnung. Das Klingeln hörte auf. Der ist wieder abgezogen, dachte Bigot und griff nach einem Buch, um sich die Zeit zu vertreiben.
Zwei oder drei Seiten mochte er gelesen haben, als ein Geräusch vom Flur her ihn aufmerken ließ. Kein Zweifel mehr, irgendwer mußte in der Wohnung sein und machte sich da draußen zu schaffen. Mit einem Ruck warf er das Buch beiseite und sah sich nach einer Waffe um.
Noch während er suchte, hörte er draußen deutliche Schritte, lief zu dem Schmelzofen hin und griff die schwere Tiegelzange, entschlossen, den Eindringling niederzuschlagen. Er wog das schwere Gerät in seiner Hand, als die Tür zum Laboratorium sich öffnete. Ein Mann trat ein, der Bigot irgendwie bekannt vorkam.
»Wer sind Sie? Wie kommen Sie hier herein? Was wollen Sie?« schrie Bigot ihn an.
»Ich denke, wir kennen uns doch, Monsieur Bigot?« sagte der andere ruhig. »Mein Name ist Reinhard …«
Bigot ließ die Zange sinken. Reinhard? Die Erinnerung kam ihm an einen Hauptmann dieses Namens, den er einmal mit Spranger zusammen in Deutschland getroffen hatte.
»Die Sache, in der ich Sie aufsuche, ist äußerst dringlich.
Hoffentlich komme ich nicht zu spät. Ich habe mit Mister Hartford zu sprechen«, erklärte der ungebetene Gast.
Ein hämischer Zug lag um Bigots Lippen, während er antwortete.
»Da kommen Sie in der Tat etwas zu spät. Herr Professor Hartford ist vor einiger Zeit nach Schenektady abgereist. Seine Pflichten dort erlaubten es ihm nicht, länger in Paris zu bleiben.«
»Ich suche hier nicht Herrn Professor James Hartford, mit dem ich übrigens noch vor einer Stunde zusammen war«, unterbrach ihn Reinhard schroff, »sondern einen gewissen Percy Hartford, dem man wegen dunkler Sachen auf der Spur ist …«
»Ich habe nur mit Professor Hartford zusammengearbeitet«, warf Bigot ein. »Ein Ehrenmann durch und durch – eine bedauerliche Verwechslung höchstwahrscheinlich …«
Reinhard verlor die Geduld. »Wir reden aneinander vorbei, Monsieur Bigot«, sagte er scharf. »Ich spreche von Ihrem früheren Mitarbeiter Percy Hartford. Der Mann ist dringend des Diebstahls verdächtig. Die französische Gerichtsbehörde hat einen Haftbefehl gegen ihn erlassen. Sie müssen der Behörde bei ihren Bemühungen behilflich sein; zu Ihnen muß er sich doch irgendwie über sein Reiseziel geäußert haben?«
»Kein Wort hat er mir gesagt«, fuhr Bigot auf, der in seinem Ärger über Hartfords Betrug alle Vorsicht vergaß. »Bestohlen hat er mich, während ich krank lag, und ist bei Nacht und Nebel losgegangen. Der Teufel mag wissen, wohin er sich gewandt hat!«
»So, so, Monsieur Bigot.« Reinhard konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. »Das klingt etwas anders als Ihre erste Aussage.
Ich glaube sogar, daß Sie diesmal die Wahrheit gesagt haben. Jedenfalls werden Sie Ihre Aussage vor der Behörde wiederholen müssen. Sie beabsichtigen doch nicht, Paris zu verlassen?«
Bigot hatte inzwischen seinen Fehler gemerkt und sich wieder gesammelt. Mit einer Handbewegung auf die Apparatur des Laboratoriums hin erwiderte er in einem überzeugenden Ton:
»Hier ist meine Arbeitsstätte, Herr Reinhard.«
»Gut, Monsieur Bigot, man wird Sie in
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