Leberkäsweckle
lebhaft hatte die Arbeit von Pfarrer Leonhard an diesem späten Vormittag nichts zu tun. Er musste sich auf die beiden Beerdigungen vorbereiten.
Die Vorgespräche hatte er schon letzte Woche geführt und sich dabei über die Verblichenen kundig gemacht. Ein Mann, mit zweiundsiebzig Jahren verstorben, aus einer Teilgemeinde, alter Gewerkschaftler, Rudolf Kowalski, und eine Frau, die, als alte Pfenningerin, mit neunundachtzig Jahren den Herrn sehen wollte. Etwas pikant war die Tatsache, dass diese Frau, Eolonie Pflugseil, bis zu ihrem Tode mit einer anderen Frau zusammengelebt hatte. Also, so richtig. Diese Thematik wollte Pfarrer Leonhard umschiffen. Das gehörte nicht auf den Friedhof, schon gar nicht auf den Pfenninger. Wie er das anstellen sollte, war ihm noch schleierhaft.
Aber gut, dachte er, das Gedankenmachen hatte er schließlich studiert. Also ging er seine Unterlagen noch mal durch, notierte sich das Wichtigste auf eine kleine Karteikarte und suchte die passenden Lieder aus. Da war dann noch eine kleine Hürde bei dem zu beerdigenden Mann. Denn der hatte sich via Testament die »Internationale« als Lied gewünscht. Der Leichenchor hatte dieses Lied natürlich nicht in seinem Programm, und so hatte Pfarrer Leonhard von der örtlichen Gewerkschaftsgruppe Unterstützung angefordert. Da war er gespannt, ob das klappen würde. Drei Mann waren zugesagt, die dann auch hoffentlich das alte Kampflied draufhatten.
Von der Trauergemeinde von Eolonie gab es keine Wünsche, allerdings würde ihre Lebensgefährtin am Grab noch ein paar Worte sprechen. Da konnte dann was schiefgehen, dachte Pfarrer Leonhard, aber das konnte er andererseits nicht verhindern.
Das aber wollte Klara Rottwald auf jeden Fall: verhindern, dass ihr Alfred wegen Diebstahls eines Dienstfahrzeugs ins Gefängnis musste. Das Gütle lag nun vor ihr. Aber wo konnte sie den Wagen so abstellen, dass ihn nicht gleich jeder sah?
Sie fuhr noch ein Stück weiter am Zaun entlang und entdeckte die Einfahrt, die der Frieder immer benutzte. Das Gebüsch war eigentlich ziemlich dicht, dachte sie und schätzte den Raum unter den überhängenden Strauchzweigen ab. Das könnte reichen, zumindest so, dass der Wagen nicht gleich ins Auge fiel. Sie konnte ja dann auch noch ein wenig nachhelfen. Also stieß sie mit dem Wagen zurück und stellte ihn vor dem Tor ab. Sie wusste, der Frieder schloss nie ab. Tor reicht, sagte er immer. Also machte sie das Tor auf, stieg wieder in den Wagen, fuhr in die Einfahrt und hielt sich scharf rechts. Das merkwürdige Knirschgeräusch interessierte sie in dem Moment wenig. Hauptsache versteckt, dachte sie.
Als sie ausgestiegen war, betrachtete sie ihr Werk. Das sah doch recht gut aus. Noch ein paar Zweige von der anderen Seite darübergeworfen, und die Sache haute hin. Da musste man dann schon genau hinschauen, um den Wagen zu entdecken. Sie schloss das Tor und spürte die ersten Tropfen. Ein spätsommerlicher Landregen setzte ein. Sie hatte natürlich nicht an einen Schirm gedacht, dafür war keine Zeit gewesen. Es half nichts, sie ging los, zog ihre dünne Strickjacke etwas enger um die Schultern und auch ein wenig über den Kopf. Lange würde das nicht gut gehen.
Von gut gehen konnte überhaupt keine Rede sein, dachte Hans Bremer. Wie sollte er das anstellen? In den »Atlas-Grill« reinlatschen und nach diesen beiden Typen fragen? Unmöglich.
Obwohl, am späten Abend vielleicht, mit einer Verkleidung, dass nicht gleich offensichtlich war, aha, da kommt der Bürgermeister. Er hatte doch noch so ein paar Sachen vom Fasching, die Perücke zum Beispiel und den falschen Bart. Das könnte ein Anfang sein. Dann noch seine Schuhe mit den hohen Absätzen. Eine Jeans ließ sich auch noch irgendwo auftreiben und dann ein wenig gehochdeutscht, schon war der Hinterwäldler beieinander. Dachte Hans Bremer. Dass es zwar einen »Atlas-Grill« in Pfenningen gab, aber wahrscheinlich weder einen Kroaten-Paul noch einen Litauer, das wusste Hans Bremer zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Er war entschlossen und wollte diesen Weg gehen, wenn notwendig bis ans bittere Ende. Wenn er zu diesem Zeitpunkt allerdings gewusst hätte, wie bitter dieses Ende wirklich werden würde, vielleicht hätte er dann die Perücke eher im Schrank gelassen.
Dieser Blick voraus bot sich auch nicht für Klara Rottwald auf ihrem Heimweg. Sie war klatschnass, aber so richtig durch und durch. Ihre Schuhe quatschten vor sich hin, und das Wasser lief ihr kalt den Rücken
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