lebt gefaehrlich
er nicht hier war, beunruhigte sie sehr. Hatte er seine Zimmertür aufgesperrt. Licht gemacht und sich zurückgezogen, als er sah, daß man seine Sachen durchwühlt hatte? War er vielleicht jetzt, in diesem Augenblick, unten in der Halle und beschwerte sich bei dem Direktor? Oder war er auf der Toilette am Ende des Korridors?
Vorsichtig, ohne etwas zu berühren, zog sich Mrs. Pollifax zurück.
Sie ging über den Flur zum Bad, aber die Tür stand offen, und der Raum war leer. Mrs. Pollifax sperrte die Tür ihres eigenen Zimmers auf und machte Licht. Alles war in Ordnung. Nichts hatte sich verändert. Nur ein weißer Zettel war unter der Tür durchgeschoben worden und schimmerte hell auf dem Teppich. »Henry!« sagte sie erleichtert und hob den Zettel auf. Sie trat ans Fenster, prüfte den Riegel nach, zog die Vorhänge zu und entfaltete das Stück Papier.
Aber es war nicht von Henry, sondern vom Empfang. Es trug den Aufdruck des Hotels. Sie las:
»9 Uhr 20. Mr. Remsee angerufen. Sie verloren Paket seine Anschrift. Er bittet Sie kommen heute abend.«
Sie las die Nachricht ein zweites Mal durch, ohne daraus klug zu werden. Ihr Besuch bei Colin Ramsey schien Stunden zurückzuliegen.
In ihrer Sorge um Henry konnte sie sich beim besten Willen nicht erinnern, was sie am Nachmittag bei Colin vergessen haben mochte. Sie versuchte zu rekapitulieren, was sie mitgenommen hatte, aber abgesehen von dem Siegelring, der Colin gehörte, hatte sie nur ihre Handtasche bei sich gehabt. Verlorenes Paket? Sie hatte heute nichts verloren.
Sie vergaß Henry, riß ihre Handtasche an sich und stob aus dem Zimmer. In ihrer Hast, auf die Straße und zu einem Taxi zu gelangen, rannte sie beinah einige Gäste auf der Treppe um.
Bei Nacht sah die schmale Sackgasse gespenstisch aus. Aus dem Haus Zikzak Dar Sokak 23 fiel nicht der leiseste Lichtschimmer.
Mittlerweile aber etwas gewitzter geworden, ging Mrs. Pollifax über den kleinen Pfad in den Hof. Zu ihrer Erleichterung drang durch die Jalousie des Küchenfensters Licht. Sie klopfte an die Tür. Colin öffnete ihr sofort.
»Was für ein verlorenes Paket?« fragte Mrs. Pollifax atemlos.
Colin ließ sie eintreten. »Hoffentlich hat man Sie nicht zu hart angefaßt.«
»Wer?« sagte sie und blinzelte ihn an.
»Die Polizei.«
»Das haben Sie gesehen?« schleuderte sie ihm vorwurfsvoll entgegen. »Sie wußten, daß man mich festgenommen hat, und sind weggefahren? Ohne mit der Wimper zu zucken?«
Er verriegelte die Tür hinter ihr. »Natürlich«, sagte er. »Ich hatte schon befürchtet, Sie würden zum Jeep kommen und mit mir sprechen. In diesem Fall wäre Ihnen die Polizei gefolgt und hätte Ihre Freundin entdeckt - die Frau, mit der Sie in der Halle des Hotels saßen.«
Mrs. Pollifax sah ihn ungläubig an.
»Ich hatte sie auf dem Rücksitz des Jeeps versteckt und ein Schaffell über sie geworfen«, erklärte er. »Sie steckt in Schwierigkeiten - wie?«
Mrs. Pollifax fielen beinahe die Augen aus dem Kopf. »Heißt das, daß sie in Ihrem Jeep war, als Sie losfuhren?«
»Aber ja, das versuche ich Ihnen doch schon die ganze Zeit zu erklären«, sagte er geduldig. »Sie stürmte ins Freie, ich riß den Wagenschlag auf und sagte: ›Steigen Sie ein - ich bin Mrs. Pollifax' Chauffeur.‹ Sie fiel in den Jeep, und ich warf das Fell über sie. Wenige Sekunden später kam der Polizist nach und fragte mich, ob ich eine Frau hätte aus dem Hotel laufen sehen. Ich habe ihm erklärt, daß ich den Hoteleingang von meinem Standplatz aus gar nicht überblicken könne, ohne mich umzudrehen. Jedenfalls aber sei niemand an mir vorbeigelaufen. Also ging er in die entgegengesetzte Richtung.«
»Aber dann - was haben Sie dann mit ihr getan?«
»Gar nichts«, sagte er. »Sie ist hier. Immer noch im Jeep.«
»Im Jeep.«
»Ich konnte sie einfach nicht wachkriegen. Da habe ich die Garage versperrt und sie dort gelassen und... Was haben Sie denn?«
Mrs. Pollifax hatte sich auf den nächsten Stuhl fallen lassen. »Hier ist sie? Dort in der Garage? In Ihrem Jeep?«
»Ja, natürlich«, bestätigte Colin erstaunt. »Sie ist doch Ihre Freundin - oder? Ich sah sie doch mit Ihnen in der Halle...«
Mrs. Pollifax konnte sich nicht länger zurückhalten und begann laut zu lachen. Es war eine Mischung aus Hysterie und Erleichterung, die Colin zwar sichtlich beunruhigte, ihr aber unendlich guttat. Sie trocknete sich die Augen, schneuzte sich und sagte: »Ich kann Ihnen überhaupt nicht sagen, wie dankbar ich Ihnen dafür bin,
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