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Lebt wohl, Genossen!

Lebt wohl, Genossen!

Titel: Lebt wohl, Genossen! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: György Dalos
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wollte man funktionsfähiger gestalten (
Perestroika
– Umbau), und die Übersichtlichkeit sowohl der Probleme als auch deren Lösungsentscheidungen sollte erhöht werden
(Glasnost –
Transparenz). Um insbesondere die Produktionsdisziplin zu erhöhen, musste vor allem die bis in die höchsten Ebenen der Nomenklatur reichende Korruption ausgetrocknet werden.
D ER LANGE W EG ZUR A BRÜSTUNG
    Beginnend mit dem 11. März 1985, als ihn sein Berater Robert McFarlane um vier Uhr morgens mit der Nachricht vom Tode Tschernenkos aus dem Schlaf riss, stand die Person des Nachfolgers ständig im Mittelpunkt von Ronald Reagans Interesse. Im Vorfeld einer Begegnung mit Gorbatschow in Genf nur wenige Wochen später versuchte der Herr des Weißen Hauses, jede mögliche Information über seinen Gast und dessen Land zu bekommen. Er konsultierte seine Vorgänger Ford und Nixon sowie die legendären Politologen Zbigniew Brzeziński und Brent Scowcroft. Der Diplomat Oleg Grinewskij teilt in seinen Memoiren über die Haltung der amerikanischen Seite Kurioses mit: «Der Höhepunkt der Vorbereitungen war eine Art Generalprobe im Weißen Haus, bei der Jack Matlock, der Experte für nationale Sicherheit, die Rolle des sowjetischen Führers spielen sollte. Indem er Gorbatschow nachahmte, dessen Stil und Manieren bei einem möglichen Diskurs, versuchte er auch die sowjetische Argumentationslinie vorauszusagen und sprach Russisch, während ein Dolmetscher seine Worte für Reagan ins Englische übersetzte.»
    Ob nun auch Gorbatschow sich Reagans Filme, etwa
Bombenerfolg
(1940),
Alter schützt vor Liebe nicht
(1950) oder
Tod eines Killers
(1964), angesehen hatte, um die Körpersprache seines Gegenübers zu studieren, bleibt dahingestellt. Jedenfalls kursierten in Moskau diesbezügliche Gerüchte.
    Der amerikanische Präsident verstand, dass das Gipfeltreffen in Genf, von der sich keine Seite einen Durchbruch erhoffen konnte – «dafür warendie Positionen zu lange erstarrt und das Vertrauen zu dünn» –, nicht so sehr ein politisches Faktum als eher ein Medienereignis sein würde. Er ging davon aus, dass das Spiel vor den Kulissen diesmal fast ebenso wichtig sein würde wie das dahinter. Und dabei hatte Gorbatschow den Vorteil, den ein plötzlich auftauchender munterer Laienschauspieler mitunter gegenüber einem alternden, etwas verbrauchten Bühnenstar haben kann. Präsident Reagan wusste auch aus einem entsprechenden CIA-Bericht, dass in einem nuklearen Krieg mit der Sowjetunion etwa 150 Millionen Amerikaner ums Leben kämen. Das von Edward Teller erdichtete und nicht von allen Militärs begrüßte Projekt «Sternenkrieg» versprach, wenn überhaupt, erst in zwanzig Jahren einen effektiven Schutzschild. Dafür war das Leben zu kurz, die Wahlperioden noch kürzer – Erfolg war dringend vonnöten. Aber auch Gorbatschow hatte keine Illusionen über den Ausgang einer Konfrontation mit den USA. Die Existenz der Massenvernichtungswaffen und deren technische Perfektion hatten Begriffe wie Verteidigungs- oder Angriffskrieg weitgehend relativiert und die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenstoßes so gut wie ausgeschlossen, da es kaum möglich sein würde, diesen im Rahmen einer konventionellen Kriegsführung zu belassen. Die Absurdität weiteren gegenseitigen Aufrüstens lag auf der Hand, musste jedoch auch von beiden Seiten, sozusagen offiziell, eingesehen werden.
    Der Ort, an dem die Einsicht zur Sprache kam, hieß Reykjavík, eine kleinstädtische Metropole mit damals 87.000 Einwohnern, in deren Infrastruktur ein derartiges Ereignis nicht vorgesehen war. Die mehr als 300 Mitglieder starke sowjetische Delegation – Diplomaten, Militärs und Journalisten – wohnte auf dem Schiff «Georg Ots», die kleinere amerikanische Abordnung mietete das Hotel Holt in der Innenstadt. Der sowjetische Journalist Alexander Bowin schilderte seine Eindrücke wie folgt: «Island ist ein wundervolles Land. Sie haben keine Armee. Im städtischen Gefängnis gibt es insgesamt sieben Plätze. (…) Obst, Gemüse und Blumen gibt es mehr als in ganz Moskau. Angesichts der ungewöhnlichen Besuchermasse wandten sich das Fernsehen, der Rundfunk und die Zeitungen an die Bewohner der Hauptstadt mit der Bitte, ein paar Tage lang am Abend nicht in die Restaurants zu gehen: Die Gäste wollten sich erfrischen, und es gebe wenige Restaurants. Es hat gewirkt. Ich war in drei Restaurants und habe keinen einzigen Isländer getroffen.»
    Für die Pressekonferenzen nutzte man das

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