Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Legende der Angst

Legende der Angst

Titel: Legende der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Pike
Vom Netzwerk:
lackierte Pinie und poliertes Zedernholz. Der Keller erstreckte sich über die ganze Breite des Hauses, und die bis zum Boden reichenden Schiebefenster im Wohnzimmer gingen zum See hinaus, der an diesem warmen, sonnigen Tag völlig ruhig dalag. Kevin saß da und sah auf den Point Lake hinaus, auf dessen gegenüberliegendem Ufer die Point High war, die man erst ein Jahr zuvor errichtet hatte. Sie war unmittelbar am See gebaut worden; von der Hälfte der Klassenräume aus hatte man einen großartigen Ausblick, was gelangweilte Geister oft dazu verleitete, abzuwandern. Angela durchquerte das Zimmer und setzte sich zu Kevin auf die Couch.
    »Hallo, Mädchen«, sagte Kevin, ohne jedoch Angela zu meinen. Plastic, der Collie ihres Großvaters, trottete ins Zimmer und schob seinen Kopf auf Kevins Schoß. Angela liebte die Hündin – sie war wunderschön –, aber Plastic verhielt sich ihr gegenüber zurückhaltend. Vielleicht hatte sie etwas dagegen, ein anderes weibliches Wesen im Haus zu haben, Kevin jedoch war einer der Lieblinge der Hündin. Eifrig hob sie die Schnauze und leckte sein Gesicht. Angela beobachtete das Ganze eine Weile, bis Kevin begann, die Zärtlichkeiten der Hündin auf gleiche Weise zu erwidern. Dann bedeutete sie Plastic, wieder zu ihrem Lieblingsplatz in der Sonne zurückzukehren, einem Holzbalkon, den man sowohl vom Schlafzimmer ihres Großvaters aus als auch von ihrem eigenen erreichen konnte. Der Balkon lag nur wenige Meter über dem Wasser. Plastic konnte dort stundenlang liegen und ins Wasser starren. Man hätte denken können, sie sei eine Katze, die nach Fischen Ausschau hielt. Ins Wasser gesprungen war die Hündin allerdings noch nie.
    »Geh, Mädchen«, sagte Angela. »Geh und halte das Wasser im Auge.«
    Plastic sah sie an, als wolle sie sagen: ›Wer zum Teufel bist du eigentlich, daß du glaubst, mir Befehle erteilen zu können!‹ Aber sie wandte sich um, um sich draußen sonnen zu gehen.
    »Ein kluger Hund«, bemerkte Kevin.
    »Ja«, stimmte Angela zu. »Sie mag dich lieber als mich.«
    »Die meisten Mädchen, die heiß sind, tun das.«
    »Wo bist du gewesen?« fragte sie.
    »Mal hier, mal da. Und auch mal irgendwo dazwischen.« Er schwieg eine Weile. »Bist du bei den Beerdigungen gewesen?«
    »Ja. Ich bin gerade zurückgekommen. Wieso bist du nicht hingegangen?«
    »Ich war nicht zu der Party eingeladen.«
    »In dem Fall war das sicherlich gut für dich.«
    »Wie war es?« wollte er wissen.
    »Auf den Beerdigungen, meinst du? Schrecklich. Ich weiß nicht warum man Leute beerdigt. Mich soll man nicht beerdigen.«
    »Willst du verbrannt werden?« fragte Kevin.
    »Ich will ins All geschossen werden, am liebsten in Richtung Sonne. Aber jetzt im Ernst, wo bist du gewesen? Und wieso hast du mich am Wochenende nicht zurückgerufen? Ich habe zweimal versucht, dich zu erreichen.«
    »Hast du eine Nachricht hinterlassen?« fragte er.
    »Zwei.«
    »Kann ich als Ausrede vorbringen, daß mein Anrufbeantworter defekt war?«
    »Wenn du wirklich meinst, daß das nötig wäre. Aber ich hätte dich dieses Wochenende gebraucht.«
    Kevin schien ernstlich besorgt. Angela und ihr Wohl lagen ihm wirklich am Herzen. Er streckte die Hand aus und legte sie ihr aufs Knie. »Es tut mir leid. Ich war auf einer Computer-Tagung in Chicago. Ich wußte nicht einmal etwas von der Schießerei, bis ich gestern nacht wieder nach Hause gekommen bin.«
    »Wieso hast du mir nichts von dieser Tagung erzählt?«
    »Weil ich nicht zu dieser Party eingeladen worden bin.«
    »Das sagtest du schon.«
    »Dann muß es doppelt wahr sein«, entgegnete er.
    Jetzt war sie es, die sich Sorgen machte. »Warst du sauer, weil ich zu der Party gegangen bin, ohne dich zu fragen, ob du mit willst? Aber es war nicht meine Party. Ich konnte nicht einfach jemanden einladen.«
    Kevin nickte. »Es war Jim Klines Party, ich weiß. Und fast hätte er sie nicht überlebt. Man sagt, du hättest ihm das Leben gerettet.«
    »Das ist völlige Übertreibung. Die Polizisten haben das getan.«
    »Ich habe gehört, daß du dich vor ihn gestellt und dir dabei eine Kugel eingefangen hast, die ihn treffen sollte.«
    Angela lachte. »Diese Geschichten. Sieht es so aus, als hätte ich mir tatsächlich eine Kugel eingefangen?«
    Er betrachtete sie eingehend. »Du siehst schlimm aus, Angie«, sagte er dann leise.
    Angela schniefte und senkte den Blick. Sie spielte mit ihren Fingern; eine alte Gewohnheit, in die sie immer dann verfiel, wenn sie sich unwohl fühlte.

Weitere Kostenlose Bücher