Legende der Angst
Planeten zum fünften reisen, wieder würden Wesen, wie sie eines war, neu geboren werden. Der Samen der Welt würde weit verteilt werden. Und irgendwann würde ihr Hunger dann gestillt sein. Dies war ihr letzter Gedanke, bevor ihr Kopf vom Körper getrennt wurde.
Angela wachte auf und öffnete die Augen. Sie lag allein auf ihrem Bett. Sie fror erbärmlich und mußte die Decke über sich ziehen. Als sie sich dabei halb aufrichtete, sah sie Jim nackt draußen auf dem Balkon sitzen und auf das dunkle Wasser des Sees hinausstarren.
»Jim«, rief sie, »komm zurück ins Bett.«
Er schenkte ihr keine Beachtung. Sein Körper schien im Licht des Mondes so gespenstisch, daß er genausogut nur ein Trugbild hätte sein können, das ihre Phantasie ihr vorgaukelte.
Sie würde gleich zu ihm gehen und fragen, was los war. Jetzt hatte sie erst einmal Hunger. Sie stand auf und ging in die Küche.
Auf der Uhr war es exakt zwölf, als sie einen Blick darauf warf und feststellte, daß der Sekundenzeiger stillstand. Kaputt, dachte sie, denn ihrem Gefühl nach mußte es später als Mitternacht sein. Sie öffnete den Gefrierschrank und holte zwei Steaks aus dem Tiefkühlfach. Diese brutzelten wenig später auf hoher Flamme vor sich hin, doch Angela ließ sie nicht lange in der Pfanne. Sie wollte sie nur auftauen und anwärmen; sie sollten so schmecken, als hätte das Tier, von dem sie stammten, eben noch gelebt.
Sie aß beide Steaks, ohne Jim zu fragen, ob er auch eins wollte.
Er kann selbst zusehen, woher er etwas zu essen bekommt, dachte sie.
Als sie kurze Zeit später wieder ins Schlafzimmer zurückkehrte, war von Jim nichts mehr zu sehen, weder auf dem Balkon noch sonstwo. Sie trat in die Nacht hinaus und ließ den Blick übers Wasser gleiten, sah, daß sich dort kleine Wellen kräuselten. Sie liefen ringförmig auseinander; so, als sei gerade jemand in den See getaucht.
»Jim?« rief sie.
Das Wasser blieb vollkommen still.
»Jim?«
Sie wartete eine Weile, aber niemand tauchte auf.
»Sethia«, flüsterte sie. Das Wort erfüllte sie mit Angst, doch gleichzeitig hatte sie das Gefühl, wieder klar denken zu können. Sie wandte sich um und ging ins Haus. Im Badezimmer nahm sie das Amulett, das Glänzende Feder ihr gegeben hatte, und legte es sich um den Hals. Fast augenblicklich erinnerte sie sich an ihren Alptraum und daran, daß sie lange mit Jim im kalten Wasser geschwommen war. Ihre Zunge tat weh. Jim hatte sie gebissen. Oder hatte sie ihn und sich selbst gebissen? Sie war sich dessen nicht sicher.
Und wieder, wie schon in der vergangenen Nacht, revoltierte ihr Magen, und sie dachte, sie müsse das Fleisch erbrechen, das sie eben erst gegessen hatte. Aber die Steaks blieben drin, und schon kurze Zeit später war sie in der Lage, ins Bett zu gehen und sich zuzudecken. Die geköpfte Fledermaus in der Hand, schlief sie ein. Schauerlich, wie das Amulett auch war, schien es sie doch vor bösen Träumen bewahren zu können.
9. Kapitel
An der University of Michigan fanden sonntags keine Vorlesungen statt, das wußte Angela. Trotzdem fuhr sie die zwei Stunden bis dorthin, in der Hoffnung, jemanden zu finden, der ihr sagen konnte, wie sie Kontakt zu Professor Alan Spark aufnehmen könne, dem Verfasser des Artikels über den Meteor, den sie gelesen hatte. Das Glück war auf ihrer Seite. Sie mußte in den wissenschaftlichen Gebäuden lediglich mit einem Hausmeister und zwei Studenten sprechen und war dann schon auf direktem Weg zu dem Büro des Professors. Es schien, daß Spark auch am Sonntag Beratungsstunden für seine Studenten abhielt.
Als Angela das Büro betrat, saß er hinter seinem Schreibtisch und schien gerade nichts zu tun zu haben. Er war groß und schlank und um die vierzig, hatte einen gepflegten braunen Schnauzbart und die fahrige Gestik, die man Bücherwürmern allgemein zuschrieb. Den Fotografien an der Wand nach zu urteilen, die ihn an vielen exotischen Plätzen dieser Welt zeigten, führte er ein interessantes Leben. Er begrüßte Angela und bot ihr einen Stuhl an. Anfangs dachte er, sie sei eine seiner Studentinnen. Und so beeilte sie sich, ihm zu erklären, daß sie auf der Point High war und einen Artikel für den Point Herald schreiben würde, in dem es darum ging, wie sauber das Wasser sei, das sie und ihre Klassenkameraden tagtäglich trinken würden. Er wollte wissen, woher sie von ihm wüßte, und sie zeigte ihm den Artikel in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift, die sie aus
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