Legende von Eli Monpress 02 - Herr des Windes
Reinigungskraft zurückgelassen hatte. Miranda konnte sich nicht vorstellen, dass der Spiritist seine Böden selbst schrubbte. Das brachte sie auf eine Idee. Sie trat zur Seite, packte den stabilen Eimer an seinem Holzgriff und hielt ihn vorsichtig hinter dem Rücken, während sie sich daranmachte, die breite Wendeltreppe nach oben zu steigen.
Alle Spiritistentürme folgten dem gleichen Grundriss, auch wenn sie nach Geschmack des jeweiligen Besitzers stilistisch variieren konnten. Das Erdgeschoss war in die verschiedenen Wohnräume aufgeteilt, während der erste Stock, den man über eine breite Wendeltreppe erreichte, nur aus einem einzigen Raum bestand, der als Büro, Arbeitszimmer, Sitzungszimmer und Bibliothek diente. Herns Turm bildete da keine Ausnahme. Die Wendeltreppe führte Miranda in die Mitte eines riesigen Raumes. Dutzende von Lampen hingen an der gewölbten Decke, und sie musste ihre Augen vor der plötzlich einsetzenden Helligkeit schützen. Trotzdem wurde sofort klar, dass Herns Vorliebe für die schönen Seiten des Lebens auch vor seinem Arbeitszimmer nicht haltmachte. Dieser Raum war genauso kunstvoll eingerichtet wie das Erdgeschoss. Mit feiner Seide bezogene Möbel zogen sich das Rund der Wände entlang, wo sie in kleinen Sitzgruppen angeordnet waren, die förmlich dazu einluden, sich verschwörerisch zu unterhalten. Der Holzboden war mit kostbaren Teppichen übersät, und an den Wänden hingen Bilder, überwiegend Stadtansichten von Zarin oder elegante Frauen mit wenig Bekleidung.
Doch was ihre Aufmerksamkeit am meisten fesselte, waren nicht der schicke Reichtum des Raums, nicht die feinen Statuetten und auch nicht die schweren Bücherregale, in denen die Lederbände scheinbar nach Farbe geordnet waren statt nach Autor oder Thema. Stattdessen richtete sich ihr Blick sofort auf eine Schachtel, die direkt vor ihr auf einem Seitentisch aus Stein stand. Es war eine einfache kleine Schatulle aus Holz mit einer eisernen Verriegelung, die durch ein schweres Schloss gesichert war. Mirandas Herz machte bei ihrem Anblick einen Sprung, oder genauer gesagt, als sie fühlte, was darin gefangen lag. Als Antwort klapperte etwas in der Kiste, das wunderschöne, klimpernde Geräusch von Gold an Gold, als ihre Ringe aneinanderschlugen.
»Keinen weiteren Schritt, bitte«, erklang plötzlich die charmante, tief gehasste Stimme von irgendwo zu ihrer Linken.
Miranda drehte sich langsam um. Dort lungerte Hern lässig in einem Stuhl neben einer schicken Hausbar, mit einem Kognakschwenker in der Hand, in dem eine goldene Flüssigkeit schwappte. Das gesamte Bild wirkte so künstlich, dass Miranda sich fragte, wie viele verschiedene Arrangements er wohl ausprobiert haben mochte, bevor er sich schließlich für dieses entschied. Er trug eine Hausjacke und weiche Seidenhosen, was ihn eher aussehen ließ wie einen Gentleman ohne eine einzige Sorge als wie einen Spiritisten, dessen Land gerade versklavt wurde. Auf ihren bösen Blick reagierte er mit einem nachsichtigen Lächeln.
»Nun«, sagte er, »schau doch nicht so. Du solltest froh sein, dass ich dich nicht einfach in Stein gefangen und zurück nach Zarin gekarrt habe. Bei dem Ärger, den du gemacht hast, wäre das durchaus mein Recht gewesen.«
»Ich glaube nicht, dass du noch irgendwelche Rechte haben wirst, nachdem der Hof hiervon gehört hat«, antwortete Miranda. »Ein netter Drink in deinem Turm, während das Land unter einer Versklavung zerquetscht wird? Hast du jetzt aufgehört, auch nur vorzugeben, du wärst ein verantwortungsvoller Spiritist, Hern?«
»Hier geht es um eine delikate, politische Situation«, erklärte Hern. »Nicht, dass du davon etwas verstehen würdest, wenn man bedenkt, dass du dich schon wieder einfach ins Getümmel geworfen hast, um ein stabiles, austariertes System aus dem Gleichgewicht zu bringen, und warum?« Er warf ihr über den Rand seines Glases einen abfälligen Blick zu. »Ein kindischer Drang nach Rache? Oder macht es dir einfach Spaß, Monpress dabei zu helfen, Königreiche ins Chaos zu stürzen?«
Außerhalb von Herns Sichtfeld, noch geschützt von der Rundung der Treppe, umklammerte Miranda ihren Wassereimer. »Es reicht mit den Lügen, Hern«, schrie sie ihn an. »Versteck dich hier, solange du willst, aber ich hole mir meine Geister zurück, und dann werde ich dem Unrecht hier Einhalt gebieten. Wenn du deine Pflicht gegenüber deinem Land nicht erfüllst, dann tue ich es.«
Sie trat einen Schritt auf die Kiste mit ihren
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