Legionen des Todes: Roman
müssen.«
»Warum?«
»Es gibt einen Weg, dem wir folgen müssen. Den Pfad des Blutes.«
»Der Name gefällt mir nicht.«
»Mir auch nicht.«
»Warum heißt er der Pfad des Blutes?«
»Weil Tod an seinem Ende auf uns wartet.«
V
Jill wachte auf. Der Mond stand noch hoch an dem mit Sternen gesprenkelten Himmel, neben sich hörte sie das leise Geräusch von Mares Atem. Er bewegte sich, rollte sich auf die Seite und legte einen Arm über ihre Brust. Sein Gesicht sah so friedlich aus, die Augenlider sanft geschlossen, die Stressfalten auf seiner Stirn und in seinen Mundwinkeln waren verschwunden. Sein ehemals zu einem Irokesenkamm aufgestelltes Haar stand nicht mehr in die Höhe, weil es inzwischen zu lang geworden war. Er war immer noch ein Kind. Sie beide waren noch Kinder. Es musste jetzt mehrere Wochen her sein, seit er sich das letzte Mal rasiert hatte, und dennoch wuchs lediglich ein dünner Flaum auf seiner Oberlippe und an seinem Kinn. Und bald würde er Vater werden. Sie waren noch nicht bereit, gemeinsam ein neues Leben in diese Welt zu setzen. Bei weitem nicht. Und das Schlimmste daran war, dass er es nicht einmal wusste. Vielleicht wartete sie noch auf den richtigen Ort und die richtige Zeit, aber selbst wenn – Jill wusste einfach nicht, wie sie es ihm sagen sollte. Wie würde er reagieren? Sie stellte sich seinen geschockten Gesichtsausdruck vor, wie er mit weit aufgerissenen Augen und herunterhängendem Kinn dastand, malte sich seine Verwirrung aus, während er versuchte, die Tatsache, die sein Leben für immer verändern würde, zu begreifen. Was, wenn er ausflippte? Schlimmer noch, was, wenn er einfach davonrannte? Was, wenn er so erschrocken wäre, dass er aufhören würde, sie und ihr gemeinsames Kind, die Tochter, die in ihr heranwuchs, zu lieben?
Sie spürte die Hitze der Tränen auf ihren Wangen und drehte sich weg, aus Angst, Mare könnte seine Augen öffnen und sie sehen. Was war nur los mit ihr? Ihre Gefühle waren eine einzige Achterbahn, viel zu schnell heulte sie einfach los. Natürlich wurde ihr Körper im Moment von Hormonen überflutet, aber sie konnte nicht alles nur auf diese Tatsache schieben. Jill fühlte sich, als laste ein schweres Gewicht auf ihrer Brust. Manchmal schien ein Gedanke in ihr aufzukeimen, eine Kraft, eine Offenbarung, die versuchte, sich bis in ihr Bewusstsein durchzukämpfen, aber Jill konnte sie nie ganz erfassen. Es war wie der Schlüssel zu einem der grundlegenden Geheimnisse des Kosmos, abgeschirmt von derart starken Angstgefühlen, dass sie kaum atmen konnte. Sie weinte so oft in letzter Zeit, befand sich fast am Rand einer Panikattacke, und nie konnte sie sich erklären, warum. In jenen leicht benebelten Momenten kurz nach dem Aufwachen, wenn Traum und rationale Welt nicht voneinander zu trennen waren, hatte sie das Gefühl, sie müsste nur die Hand ausstrecken und den Schlüssel ergreifen, aber es gelang ihr nie. Sobald sie ganz nahe dran war, drängten sich die Worte ihrer Großmutter vor Urgenerationen in ihr Bewusstsein wie ein Messer aus Gedanken, das durch ihr Gehirn schnitt.
»Würdest du alles für dieses Kind opfern?«, flüsterte sie.
Dunkelheit drang von allen Seiten auf Jill ein und verschlang sie, als wäre sie in einen See aus Rohöl gefallen.
Flammen fraßen sich durch die Dunkelheit. Zuerst dachte Jill, es wäre wieder die Vision mit dem Rauch, der so dicht war, dass er in ihrer Brust schmerzte und sie husten musste, doch als eine Brise den Rauch teilte, konnte sie keine Bäume sehen. Der Boden unter ihren Füßen war fest, nicht das schwammige Geröll aus ihrem letzten Traum. Sie roch auch kein siedendes Kiefernharz oder brennendes Holz, sondern etwas ganz anderes, Schwefeliges, fast wie der Gestank von verfaulten Eiern. Ein schattenhafter menschlicher Umriss tauchte zwischen den Rauchschwaden auf. Durch etwas, das aussah wie ein gezackter, brüchiger Torbogen, lief er direkt auf sie zu.
»Es ist direkt hinter mir!«, schrie der Schatten mit einer Stimme, die sie sofort als Mares Stimme erkannte. Er schob sie zurück und fummelte an etwas an der Seite des Durchgangs herum. Mit dem schrillen Kreischen von verbiegendem Metall schob sich eine schwarze Fläche ein Stück weit vor den Eingang. Er zog und rüttelte daran, aber sie schien festzustecken. »Nein! Nein! Nein!«
Mare drehte sich um und schaute sie durch die rauchverhangene Finsternis hindurch an. Er zögerte kurz, dann zog er sie an sich und umarmte sie.
»Tu das
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