Legionen des Todes: Roman
Wolken sich endlich teilten. Aber Missy liebte ihn, und sie hatte in ihrem Leben schon zu viel durchgemacht, als dass Mare sich einmischen und das bisschen Glück zerstören würde, das sie gefunden hatte. Wenigstens das hatte Missy verdient, doch wenn Phoenix auch nur mit dem Gedanken spielte, sie zu verletzen, würde Mare ohne zu zögern tun, was Brüder tun, um ihre Schwester zu beschützen, ganz egal was für Konsequenzen es nach sich ziehen mochte. Es mochte einmal einen Zeitpunkt gegeben haben, zu dem er sich in der Lage gefühlt hatte, seine Schwester vor einem gebrochenen Herzen zu bewahren, doch jetzt, da er in Phoenix’ Augen starrte, fühlte er sich so klein und unbedeutend wie eine Stechmücke vor einem Riesen. Es war, als seien Phoenix’ Augen ein Fenster zu einem ganzen Universum, das Mares Vorstellungsvermögen bei weitem überstieg.
»Deine größte Angst ist, so zu werden wie dein Vater«, hatte Phoenix nach diesem endlos langen Blick gesagt.
Mare hatte nicht gewusst, was er antworten sollte. Oder ob er es überhaupt konnte.
»Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Du besitzt mehr als genug Mut, um den Dämon zu besiegen.«
Hatte Phoenix »den Dämon« oder » diesen Dämon« gesagt? Mares Erinnerung war verschwommen, die Worte unscharf.
»Sie wird schön und stark sein. Stark genug, um einer toten Welt neues Leben einzuhauchen«, hatte Phoenix weitergesprochen, während seine Augen zu leeren Höhlen wurden, die Mare das Gefühl gaben, er befände sich in freiem Fall. Dann hatte Phoenix matt gelächelt, doch Mare war nicht sicher gewesen, welches Gefühl dieses Lächeln ausdrücken sollte. Eine Art von Zufriedenheit? Und wer war »sie«? Er verstand gar nichts mehr. »Du solltest sehr stolz sein.«
Mare hatte sich vollkommen verloren gefühlt, und jetzt erging es ihm nicht besser. Hatte Phoenix zu ihm gesprochen oder zu jemand anderem in diesem endlosen Universum, das hinter seinen Augen verborgen lag?
Phoenix’ Augen waren auf ihn fokussiert gewesen, er hatte ihn eindeutig angeschaut, und nicht durch ihn hindurch. Mare hatte gespürt, wie er seine Hand drückte, während Adam wie aus einer Million Meilen Entfernung nach ihnen rief.
»Es macht mich traurig, dir dieses Geschenk zu geben, denn es wird nicht das Geringste ändern. Dein Mut ist deine größte Stärke, und das Einzige, das ich dir anbieten kann, ist Frieden. Wenn die Zeit gekommen ist, wirst du tun, was getan werden muss. Nicht um zu beweisen, dass du nicht wie dein Vater bist, sondern weil du wissen wirst, wie es sich anfühlt, einer zu sein , ganz egal wie kurz diese Gewissheit auch sein mag. Du bist der Vater einer Zukunft, die ich dir leider nicht zum Geschenk machen kann.«
Andere Stimmen waren in Adams Rufe mit eingefallen. Sie wurden lauter, dringlicher.
Phoenix hatte Mares Hand losgelassen, und die Welt war über ihn hereingebrochen, als wäre die Blase, die sie die ganze Zeit über ausgesperrt hatte, plötzlich zerplatzt. Er erinnerte sich, wie er nach Luft schnappte und gegen eine in ihm aufsteigende Übelkeit ankämpfte. Und er erinnerte sich an die letzten Worte, die er gehört hatte, ob sie nun real oder seiner Fantasie entsprungen waren:
»Du wirst keine Schmerzen spüren.«
Selbst wenn er sie nur in seinem Gedächtnis hörte, ließen die Worte ihm einen kalten Schauer über den Rücken laufen. Was hatten sie zu bedeuten? Er spürte ein flaues Gefühl im Magen, dasselbe Gefühl, das er jedes Mal gehabt hatte, wenn er heimgekommen und sein Vater zuhause gewesen war und er nicht wusste, ob er betrunken war oder nicht, und befürchten musste, dass sein Vater ihn jeden Moment mit den Fäusten begrüßen würde.
Und wer war »sie«? Was zum Teufel sollte all das bedeuten?
Du wirst keine Schmerzen spüren .
Was zum Teufel sollte er mit dieser Aussage anfangen?
Mare schlug sich mit der flachen Hand auf den Hinterkopf. Es fühlte sich an, als krieche unter seinen Haaren etwas über seine Kopfhaut. Etwas Warmes.
Als er seine Hand wieder wegzog, hingen verbrannte Haare daran, die der Wind sofort davonwehte, als er sie sah.
»Verdammt, Ray!«, zischte Mare. Er drehte sich um und sah die Flammen, die im Fahrtwind flackernd aus Rays Augen züngelten. Er hatte sich immer noch nicht daran gewöhnt, das Gesicht seines Freundes brennen zu sehen.
»Tut mir leid«, sagte Ray in sein Ohr. »Ich wollte dir nicht wehtun.«
Mir wehtun?
Aber das hatte er gar nicht.
Mare richtete seine Augen wieder auf den Pfad vor ihnen
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