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Lehmann, Christine

Lehmann, Christine

Titel: Lehmann, Christine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mit Teufelsg'walt
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sein.«
    »Ich überlege, ob ich mitkomme.«
    Ich verschluckte mich fast. Noch nie hatte Richard Anstalten gemacht, familiär zu werden.
    »Wir könnten uns in aller Ruhe die Unterlagen a n schauen und uns eine Strategie überlegen.«
    Als ob es noch eines Arguments bedurft hätte. »Ja, gern. Wenn du dir das antun willst.«
    Er lachte leise.
    Ich versuchte noch einmal Sally anzurufen. Verge b lich. Musste ich mich ernsthaft anstrengen, Katarina au f zutreiben? Wozu? Heutige Jugendliche waren sicher nicht bereit, auch nur eine Stunde Trennung von G e nussmitteln und Freundeskreis ohne schrilles Protestg e schrei hinzunehmen. Geschweige denn ein Wochenende am Albtrauf zwischen Obstbaumwiesen und Mobilfun k loch. Betten hatte meine Mutter auch nicht genug.
     
    Karin Becker wartete mit einer dicken Pressemappe im Archiv des Stuttgarter Anzeigers . »Diese Baphomets«, sagte sie, »sind ziemlich geschäftstüchtige Berufshelfer. Er hat in Berlin schon ein Heim geführt, bis das Finan z amt kam. Sie leitete einen Verein für den Kampf gegen die Beschneidung von Mädchen.«
    »Das tut sie immer noch.«
    »Aber ohne Vereinsstatus. Sie hat ihn nämlich dich t machen müssen, nachdem eine Deutschsomalierin ihr in einem Zeitungsinterview vorgehalten hat, dass der Ve r ein in den Ländern, wo er zu helfen vorgibt, gänzlich unb e kannt ist. Die Somalierin ist selbst beschnitten und hält Vorträge vor Männern in diesen Ländern. Doch Frau Baphomet hat sich scheint’s nicht entblödet, ausgerec h net ihr einen bitterbösen Brief zu schreiben, sie solle doch, wenn sie schon gegen die Genitalverstümmelung kämpfe, gefälligst auch den richtigen Begriff verwe n den.«
    »Wie?«
    »Genitalverstümmelung, nicht Beschneidung.«
    »Aber das ist es doch auch.«
    »Nur, dass die Deutschsomalierin sich nicht als Ve r stümmelte sieht. Das findet sie diskriminierend. Wir E u ropäer, beschwert sie sich, wollten Frauen, die gebrochen sind, hilflose Opfer, denen wir dann helfen könnten. Aber die Afrikaner müssten ihre Themen so behandeln, wie sie das für richtig halten.«
    »Auch wieder wahr.«
    »Jedenfalls stellte sich heraus, dass Frau Baphomet das gesammelte Geld nicht für Informationsprojekte und Mädchenschutzhäuser in Sudan, Somalia oder Äthiopien, sondern für den Kauf eines Hauses ausgegeben hat, in dem ihr Mann das Kinderheim und eine Ausbildungsstä t te für Pflegeeltern groß aufgezogen hat. Und außerdem gab es da eine Sache … Eine muslimische Mutter fühlte sich von den Baphomets verfolgt und drangsaliert.«
    »Und hier macht sie gerade so weiter. Das Jugendamt hat einer Familie, die bei mir im Haus wohnt, auf Betre i ben Baphomets verboten, die Tochter zum Besuch nach Somalia zu schicken, weil sie dort beschnitten werden könnte.«
    »Und jetzt betreiben die Baphomets seit vier Jahren im Mahdental ein Kinderheim«, sagte Karin Becker und strich sich ihre renitente Strähne hinters Ohr.
    »Das Sonnennest.«
    »Offizieller Geschäftsführer ist übrigens nicht Baphomet, denn der darf nicht mehr, sondern der Anwalt Detlef Depper …«
    Ich fuhr hoch. »Wer?«
    »Detlef Depper, der Mann dieser toten Familienricht e rin.« Becker lächelte fein. Sie hatte es trotz ihres fortg e schrittenen Alters und ihrer blauen Röcke und hellen Blusen geschafft, sich unentbehrlich zu halten, auch im Computerzeitalter. »In der Zeitung ist zwar nur gesta n den, eine Familienrichterin, aber ich hatte schon verm u tet, dass es sich um Sonja Depper handelt. Sie ist ermo r det worden, nicht wahr?« Beckers Bäckchen waren leicht gerötet. »Ich meine, wenn Sie sich dafür interessieren.«
    Ich grinste verschwörerisch. Plötzlich ging mir auf, warum die Archivarin mir klaglos Mappen zusamme n stellte, ja warum sie überhaupt im bomben- und feuerfe s ten Keller des Pressehauses ihre Tage verbrachte. Es war ihr Paradies von Tratsch und Klatsch. Und wenn sie G e legenheit hatte, vor den Journalisten in den Stockwerken über ihr, deren Artikel sie später verschlag wortete , Kenntnis von Mord und Totschlag zu erlangen, dann e r zeugte das mehr Glückshormone als das Schnurren ihrer Katze.
    »Und grüßen Sie mir Herrn Dr. Weber«, sagte sie, als ich die Mappe raffte und davonstürzte.
     
    Über die ehemaligen Kuhdörfer Plieningen und Möhri n gen fuhr ich nach Vaihingen und ins Mahdental. Ich brauchte den Navi , um den Abzweig zum Sonnennest wiederzufinden.
    Diesmal stellte ich Brontë auf dem Parkplatz ab. Die Tür neben dem blickdichten

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