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Lehmann, Christine

Lehmann, Christine

Titel: Lehmann, Christine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mit Teufelsg'walt
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dre i beinig und tückisch. Er kippte, wenn ich mich mit dem Rücken gegen die Wand lehnte. Also musste ich aufrecht sitzen. Wo nahm Ambrosius die Unverschämtheit her, über meine Haltung zu bestimmen? »Denken Sie darüber nach!« Das war Folter! Vermutlich hatte er mein Telefon haben wollen, damit nichts mich vom Nachdenken a b lenkte. Wie kam dieses Pädagogenarschloch dazu, da r über zu bestimmen, wann ich nachdachte! Woher nahm er das Recht, mich zum Opfer pädagogischer Wohltaten zu machen? Warte du nur!
    Zunächst wartete ich. Es war schwierig zu warten, oh ne nachzudenken. Ich versuchte vom Schemel aus die Fensterluke zu erreichen, aber ehe ich das Fenster aufb e kam, brach der Schemel unter mir zusammen. Er war für Kindergewichte gebaut. Eigentlich hatte ich mein Handy mit SMSen an alle Welt bestücken und zum Fenster h i nauswerfen wollen, in der Hoffnung, dass es dort Netz fand und sendete.
    Jetzt bekam ich die Beine des Schemels nicht wieder gerade gebogen. Also blieb mir nur der Boden, wenn ich sitzen wollte. Er war arschkalt. Ich hockte mich mit der kalten Wand im Rücken auf meine Fersen, bis die Knie glühten. Als ich aufstand, war mein linkes Bein eing e schlafen. Bei allem Zorn kam eines nicht auf: Angst. Und irgendwann befand ich mich tief in Gedanken, so tief, dass ich aufhörte, das Handy immer wieder zu wecken, um auf die Uhr zu schauen.
    Ich starrte auf die ocker gestrichene Eisentür und fra g te mich, was der Schlüssel zu alledem war. Es gibt ke i nen Zufall, alles ist Gottes Wille, hätte meine Mutter das g e nannt. Nie vorher hatte ich irgendetwas mit dem Jugen d amt zu tun gehabt. Und auf einmal machte es mein Haus zum Zentrum gewaltsamer Aktionen, brach über mir ein und drangsalierte die Familie unter mir. Zugleich starb die Richterin, die in diesen Fällen ihr Unwesen g e trieben hatte, und Richard bekam ein Kind. Der Schlüssel war ohne Zweifel Richterin Depper, nur dass ich das Schloss noch nicht gefunden hatte, das sie aufschloss. Ich sah nur die Tür: mehrmals gestrichen, zerkratzt, stelle n weise war die Farbe abgeblättert und zeigte eine andere, dunklere darunter. Aber ich konnte sie nicht aufbekommen, o b gleich ich ein Pickset im Parka hatte. Denn es gab kein Schlüsselloch, nur einen Riegel draußen. So tief versank ich in meinem Denken, dass ich nicht mehr mit Worten hätte erklären können, was ich erkannte. Aber ich hätte in diesem Fall den Moment verpasst, wo ich von meiner falschen Spur abbiegen musste, wenn Am b rosius Baphomet mich nicht im Karzer eingesperrt und zum gedankenleeren Nachdenken gezwungen hätte. Meditat i on nannte sich das, glaube ich.
    Nach zwei Stunden öffnete ein schlaksiger Junge mit Pickeln die Karzertür. Auf meine Frage nach dem Hei m leiter zuckte er mit den Schultern. Stumm geleitete er mich die Treppen hoch und zum Tor hinaus. Nicht u n freundlich, nicht interessiert.
    Mit verwaschener Weltsicht setzte ich mich hinters Steuer. Die Schulter, mit der ich gegen die Wand g e kracht war, sperrte sich. Beim Ausparken rutschte mir der Lenkreifen aus der Hand. Fast hätte ich das Schild am Tor umgefahren. Brontë stöhnte.
    Ambrosius Baphomet hatte nicht vorgehabt, mich u m zubringen. Nur, was dann? Er konnte doch nicht anne h men, dass es für ihn folgenlos blieb, wenn er eine Vertr e terin der freien Presse einsperrte. Oder ging er davon aus, dass ich so beschämt und geläutert war, dass ich schwieg? Geringe Frustrationstoleranz, mangelnde A f fektkontrolle, keine Folgenabschätzung. Wahrscheinlich waren Pädagogen so gefährlich, weil sie im Herzen Ki n der geblieben waren, statt erwachsen zu werden. Kinder quälten Frösche und andere Kinder.
    Der Geistesblitz kam mir, als ich einhändig um den Schattenring schleuderte. Ambrosius war abgefeimter und kaltblütiger, als ich nach der Aktion vermuten mus s te. Wenn ich mit großem journalistischem Pathos seinen Angriff auf die freie Presse geißelte und das Schicksal von Tobias in den Fokus allgemeinen Interesses rückte, würde eine andere, viel schwerer wiegende Tat an den Rand des öffentlichen Vergessens gedrängt werden: sein Angriff mit oder ohne Tötungsabsicht, aber mit Tode s folge auf Richterin Depper.
    Denn Alena stammte aus dem Sonnennest. Deshalb hatte sich bislang auch keine Mutter gemeldet. Es war derselbe Wald. Auf dem Weg vom Mahdental an die B ä renseen konnte man sich durchaus verirren, vor allem, wenn man sich fragte, wohin mit einem Baby, das einem nicht gehörte. Sonja

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