Lehmann, Christine
müssen.«
Er rauchte eine Weile schweigend und dachte nach, während ich gedankenlos auf die Liste starrte. Aber auch das führte zu was.
»Schau mal, Richard: Glems. Das ist gleich hier um die Ecke. Da lebt die Familie, die Tobias Abele hat. Da könnten wir locker morgen mal hinfahren und nac h schauen.«
Aber Richard hing noch an der vollständigen Tilgung von Tobias Vlora aus den Akten. »Was bringt das Baphomet? Was für einen Vorteil hat das?« Er schüttelte den Kopf. »Immerhin schadet es nicht. Teixel hat Tobias Vlora im Sonnennest gefunden. Zumindest nach Akte n lage des Jugendamts. Würde er ins Sonnennest fahren und den Jungen zu sehen verlangen, ist es völlig egal, unter welchem Nachnamen er geführt wird. Baphomet kann ihm Tobias präsentieren. Und so funktioniert das grundsätzlich. Wenn das Jugendamt ein Kind verlangt, für ein Treffen mit der Mutter, für Arztbesuche, einen Gerichtstermin, dann wird das Kind vorgeführt, egal, ob es sich im Heim oder unter fiktivem Nachnamen in einer Pflegefamilie befindet. Sollte jemals einer vom Jugen d amt zu einem Überraschungsbesuch im Sonnennest e r scheinen und ein bestimmtes Kind sehen wollen, das in eine Pflegefamilie ausgelagert ist, so erklärt man ihm, die Kinder befänden sich gerade alle zu einer erlebnispäd a gogischen Maßnahme im Wald. Sollte er warten wollen, wird man eilends Kinder herbeischaffen, auch das g e suchte, aber wahrscheinlicher ist, dass der Beamte a n derntags wiederkommt. Bis dahin hat Baphomet die no t wendige Zahl von Kindern zusammengezogen und kann ein volles Haus präsentieren. Nach den anderen, den gänzlich fiktiven Kindern, fragt ja eh niemand.«
»Ganz schön …« Mir fehlten die Worte. »Abgefeimt.«
»Ich schätze, mit dieser Geschäftsidee hat Ambrosius Baphomet in den letzten drei Jahren einige Millionen z u sammengebracht.«
»Geht das ohne Mitwisser?«
»Helfertypen wie den Baphomets vertraut man mei s tens. Und solange er nicht übertreibt …«
»Aber dem Detlef Depper, hätte dem als Wirtschaft s anwalt im Aufsichtsrat der Stiftung nicht was auffallen müssen? Oder muss man annehmen, dass er mitgemacht und mit kassiert hat?«
»Dann wären wir bei bandenmäßigem Betrug. Als Anwalt wäre Depper damit für immer erledigt.« Der Staatsanwalt blies Rauchringe gegen die vergilbte Decke der Küche meiner Mutter.
»Aber wenn es so ist, und Sonja Depper hat es rausg e kriegt?«
Richard schaute mich an. »Sie war nicht wirklich der Typ, der sich für die Geschäfte ihres Mannes interessiert. Sie hatte selber genug zu tun mit ihrem Beruf.«
»Aber ihr war Baphomet suspekt. Und dass ihr Mann in der Stiftung Xenodochium Aufsichtsrat ist, muss sie gewusst haben. Hast du mich nicht vorhin gefragt, womit sie ihren Mann hätte unter Druck setzen können, damit er die Adoption von Eliska Nemkovas Kind betreibt? D a mit, Richard. Sie hätte ihm drohen können, dass sie dir was steckt. Und tatsächlich hat sie dich ja bereits ein bisschen angespitzt, wenn auch mit unkonkreten Ve r dächtigungen. Das war ein Warnschuss gegen ihren Mann.«
»Glaube ich nicht.«
»Du möchtest bloß nicht wahrhaben, dass diese Tussi mit dem Kutschpferdhintern dich für ihren Ehekrieg missbraucht hat!«
»Ach was! Detlef Depper hat die Adoption platzen lassen, Lisa. Und sie hat mir nichts erzählt.« Richard stauchte die Kippe in den Aschenbecher. »Sie hat auch gar nichts gewusst. Denn wenn, dann hätte sie als Eh e frau ihren Mann zwar nicht anzeigen müssen, aber als Richterin schon. Sonst wäre sie, wenn es rauskommt, ebenso erledigt gewesen wie ihr Mann als Anwalt.«
»Sie hat die Erpressung fortgesetzt, Richard. Sie wol l te das Kind klauen, nachdem klar war, dass es ihr nicht o f fiziell zugesprochen wird, und Detlef musste dazu die Klappe halten.«
»Das wäre nie gutgegangen!«
»Aber es ist ein gutes Mordmotiv«, sprach ich aus, wogegen er sich so vehement sträubte. Es fiel ihm grun d sätzlich schwer zu denken, dass es Gründe gab, die für einen Mord ausreichten. »Detlef Depper wird nicht nur eine Erpresserin los, sondern auch seine Frau und kann Eliska heiraten.«
Richard schlitzte die Augen. »Und dann hätte er Eliskas Tochter unter der Leiche liegen lassen?«
»Wenn seine Frau ihm im Streit mitgeteilt hat, dass sie dich angerufen hat und dass du kommst, dann hätte er darauf hoffen dürfen, dass du oder die Polizei das Kind zeitnah findet.«
Es war mucksmäuschenstill im Haus. Landstill. Ab zehn fuhr kein Auto
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