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Lehmann, Sebastian

Lehmann, Sebastian

Titel: Lehmann, Sebastian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Genau mein Beutelschema
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Ihnen diesen Zettel dagelassen«, sagt er, und der andere reicht mir ein Blatt Papier.
    »Ich hab doch gestern schon gesagt, dass ihr mich duzen sollt, verdammt! So alt bin ich doch noch nicht!«
    Die beiden blicken mich ungläubig an und nicken dann ergeben.
    Der Zettel des Bosses riecht stark nach seinem American-Spirit-Tabak.

    »Bitte für nächste Ausgabe längeres Feature über neuen Szenebezirk Tiergarten schreiben. Sie wohnen doch wirklich da, oder? Sonst gibt es nämlich niemanden, der schon mal dort war. Melden Sie sich für genauere Infos in der Lifestyle-Redaktion.
    The Boss.«

    Seit Jahren warte ich auf einen ernsthaften Auftrag, auf etwas anderes als Sexanzeigen umschreiben, und jetzt kommt alles auf einmal: gestern Beförderung, heute Artikel schreiben. Meine Glory Days beginnen wohl gerade. Wenn mein Berufsleben in dieser Geschwindigkeit weitergeht, bin ich in drei Monaten Chefredakteur des Spiegel .
    »Gute Nachrichten?«, fragt einer der Praktikanten.
    »Wie man’s nimmt«, sage ich tonlos. Ich fahre meinen Computer hoch und versuche, die Praktikanten zu ignorieren, was ziemlich schwierig ist, denn sie sitzen mir ja direkt gegenüber und starren mich erwartungsvoll an.
    »Hat die Nachricht mit Arbeitsaufträgen für uns zu tun?«, fragt der andere Praktikant. Er trommelt wieder nervös auf der Schreibtischplatte herum, hört aber sofort damit auf, als ich wütend seine Finger anstarre.
    »Als erste Aufgabe habe ich mir Folgendes für euch ausgedacht.« Ich setze eine bedeutungsschwangere Miene auf, und sie senken ehrfürchtig ihre Blicke. »Ihr sortiert jetzt alle eingegangenen Kleinanzeigen in den im Heft üblichenKategorien, ›Er sucht Sie‹, ›Er sucht Sex‹, ›Er sucht Tantra-Massagen von reifen Frauen in SS-Uniformen‹ und so weiter, klar? Dann verbessert ihr die offensichtlichen Fehler, zählt die Zeichen und schreibt dementsprechend Rechnungen. Auf dem Computer findet ihr alle Vorlagen.«
    Die beiden nicken, die Köpfe noch immer gesenkt, aber ich sehe, wie sie sich Mühe geben müssen, ihre Vorfreude zu unterdrücken. Was sie noch nicht wissen: Das ist nicht ihre erste Aufgabe, sondern die einzige. Es ist überhaupt die einzige Aufgabe, die die Kleinanzeigenabteilung zu erledigen hat. Das ist alles. Das ist mein Job.
    Die beiden machen sich sofort an die Arbeit, und ich bewundere apathisch ihre seltsame Arbeitsweise: Weil es nur einen Computer gibt, benutzen sie ihn zusammen, wobei der eine die Tastatur bedient, der andere die Maus. Dabei flüstern sie sich unablässig in die Ohren, wo und wie die einzelnen Anzeigen einzusortieren sind. Mich scheinen sie vollkommen vergessen zu haben. Für einen kurzen Moment schließe ich die Augen, die Betriebsamkeit der Praktikanten macht mich ganz schläfrig. Viel anstrengender, als selbst zu arbeiten, ist ja, anderen beim Arbeiten zuzuschauen. Dazu die beruhigenden Tippgeräusche, der gemütliche Kaffeegeruch, Garys bequemer Chefsessel, den ich gestern noch an meinen Schreibtisch geschoben habe …
    Ich schrecke auf. Bin ich etwa eingeschlafen? Ich öffne die Augen, aber nichts hat sich verändert, die Praktis tippen und klicken immer noch konzentriert.
    »Artur«, sage ich zu den beiden und erhebe mich von meinem Sessel, »ich bin gleich wieder da, ich muss zu einer Besprechung.« Sie nicken nur kurz, ohne vom Computerbildschirm aufzuschauen.
    Ich muss zu einer Besprechung! Hätte nie gedacht, dass ich jemals diesen BWLer-Satz sagen würde, aber es fühlt sich gar nicht schlecht an. Als ich auf dem dunklen Gang vorm Büro stehe, atme ich erst einmal tief durch. Das Büro ist einfach viel zu klein für drei Menschen, selbst wenn die Praktis nicht ganz wie zwei Menschen wirken, eher wie eineinhalb. Aber das Büro ist auch für zweieinhalb Menschen zu klein.
    Langsam gehe ich den Gang entlang zum Lifestyle-Büro. Zuerst bleibt mein Klopfen unbeantwortet, bis schließlich eine raue Frauenstimme »Herein« krächzt. Ich trete ins Zimmer, und vor mir sitzt die Lifestyle-Redakteurin in bunte Gewänder gehüllt an ihrem riesigen Schreibtisch. Das Büro muss mindestens fünfmal so groß sein wie unseres. Auf der Fensterbank stehen unzählige kleine Buddhafiguren, in denen Räucherstäbchen stecken, die unablässig ihren Rauch in die Luft pusten.
    »Na, junger Mann, wie kann ich dir helfen?« Die Redakteurin grinst mich an. Ihre äußerst seltsame Frisur irritiert mich, sie sieht aus, als hätte der Friseur einen Topf genommen und die Haare einfach unter

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