Lehtolainen, Leena
alle anderen Geräusche untergingen. Ich klebte meine Zettel an die Mülltonnen auf dem Hof und erwartete die ganze Zeit, Sulos Miauen zu hören oder sein funkelndes Auge unter einem parkenden Auto zu sehen. Aber nein – meine Rufe blieben ohne Antwort. Ich ging in der Nachbarschaft herum und brachte meine Zettel an. Dass jeder Verrückte meine Adresse und Telefonnummer lesen konnte, machte mir Angst, aber es gab keine andere Möglichkeit.
Als Nächstes rief ich bei der Tierklinik und der Kleintier-Poliklinik an. Sulo war weder in der einen noch in der anderen eingeliefert worden, aber ich konnte meine Telefonnummer hinterlassen. Die Sprechstundenhilfe in der Tierklinik meinte tröstend, wahrscheinlich sei die Katze auf der Mäusejagd. Ich musste plötzlich weinen und legte abrupt auf.
Ich traute mich nicht unter die Dusche, um nur ja Sulos Miauen nicht zu überhören. Ich wusste, ich musste schlafen, um den nächsten Tag zu überstehen, aber konnte ich es wagen? Und wenn Sulo nun zurückkam und ich ihn im Schlaf nicht hörte?
Schließlich schob ich das Sofa aus dem Wohnzimmer in den Flur und ließ die Tür zum Windfang offen. Hinter die Tür stellte ich Sulos Fressnapf und seine Wasserschüssel, für den Fall, dass ich nicht wach wurde. Ich wälzte mich die ganze Nacht unruhig hin und her, in meinen wirren Träumen sah ich Ari Väätäinen, wie er mit hoch erhobenem Beil auf Sulo losging. Nur der Wind heulte und jammerte auf dem Balkon, und als ich gegen sechs Uhr aufstand, waren die Schüsseln draußen unberührt.
Ich konnte nicht zu Hause bleiben. Also sprach ich einen neuen Text auf meinen Anrufbeantworter, in dem ich meine Handynummer und meine Durchwahl bei der Arbeit angab.
Dann setzte ich ein Inserat auf, das ich an die Lokalzeitung faxen wollte.
Nachdem ich endlich im Frauenhaus angekommen war und meine Anzeige aufgegeben hatte, konnte ich mich auf nichts konzentrieren. Das ganze Haus stand Kopf, weil der Bürgermeister kommen sollte. Pauli erhoffte sich kommunale Unterstützung, obwohl die Stadt nicht einmal genug Geld hatte, um ihren sonstigen Verpflichtungen nachzukommen. Die Kinder-tagesstätten waren hoffnungslos überbelegt, und in den Alters-heimen war so viel Personal eingespart worden, dass man den alten Omas nur noch einmal am Tag die Windel wechseln konnte. Außerdem saßen in der Stadtverordnetenversammlung mindestens zwanzig kluge Männer, die der Meinung waren, Gewalt in der Ehe käme hauptsächlich daher, dass die Weiber ihren Mund nicht halten konnten. Der Besuch war im Grunde nur eine freundliche Geste, die sowohl dem Schutzhafen als auch dem Bürgermeister Publicity einbrachte. Ein Journalist und ein Fotograf von der Lokalzeitung begleiteten den Bürgermeister, während Pauli ihm beflissen unsere Arbeit erläuterte. Natürlich war keine Frau bereit, sich fotografieren zu lassen, aber Pauli überredete eine Dauerklientin, dem Journalisten anonym ein Interview zu geben. Minna und ich kümmerten uns um die Be-wirtung, allerdings lief ich bei jedem Klingeln ans Telefon. Vielleicht hatte jemand Sulo gefunden?
Ich half unserer zweiten Dauerklientin, ihre Rückerstattungs-anträge an die Krankenkasse auszufüllen, und verrechnete mich andauernd. Auf Tiina Leiwos Überlegungen, ob Pasi sich wohl schon Sorgen machte, weil er nicht wusste, wo seine Frau steckte, konnte ich mich auch nicht konzentrieren. Ich ging eine Viertelstunde vor Feierabend nach Hause, ohne mich zu entschuldigen.
Sulo hatte sich nicht blicken lassen. Der Fressnapf und die Wasserschüssel standen unberührt an ihrem Platz, niemand hatte eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen. Die Wohnung war schrecklich leer. Ich pflückte ein Bündel Katzen-haare vom Sofa, legte sie an die Wange und bemühte mich, die Tränen zurückzuhalten. Meine Anrufe beim Tierarzt, im Tierasyl und in der Kleintier-Poliklinik brachten nichts Neues. Wurden überfahrene Katzen bei der Polizei gemeldet? Wohl kaum. Wenn es um ein teures Exemplar einer kostbaren Katzenrasse ging, mochte das anders sein. Aber Sulo war finanziell wertlos, er hatte nur Gefühlswert, und dafür interessiert sich die Polizei eben nicht.
Ich aß einen Teller von der Krabbensuppe, die ich in einem meiner seltenen Anfälle von Energie literweise gekocht und ein-gefroren hatte. Dann machte ich mich wieder auf die Suche. Es war Probentag, aber der Chor musste diesmal ohne mich auskommen. Ich machte mir nicht die Mühe, mich abzumelden. Da keine neuen Noten gebraucht
Weitere Kostenlose Bücher