Lehtolainen, Leena
danach sagte mir der Arzt der Frauenklinik, meine Gebärmutter werde keine weitere Schwangerschaft mehr überstehen, aller Wahrscheinlichkeit nach würden sowohl ich als auch das Kind sterben. Er war entsetzt, als ich eine Sterilisation und dann auch die Spirale und die Pille ablehnte, sagte jedoch, er respektiere unsere religiöse Über-zeugung. Leevi war der Ansicht, man müsse sich Gottes Willen beugen, doch mir waren Zweifel gekommen. Diese Zweifel lösten bei mir heftige Schuldgefühle und Ängste aus, doch ich konnte mit niemandem darüber sprechen. Ich versuchte, Leevi den ehelichen Verkehr zu verweigern, indem ich ihn auf das Risiko einer Schwangerschaft hinwies, doch er gab mir zur Antwort, es sei Aufgabe der Ehefrau, ihrem Mann zu Willen zu sein, und Gott werde für uns sorgen.
Im vergangenen Oktober stellte ich fest, dass ich wieder schwanger war. Es war wie ein Todesurteil. Leevi wollte von einem Schwangerschaftsabbruch natürlich nichts wissen. Er schlug mich in den Magen, als ich ihm den Vorschlag machte, und ich hoffte, die Schläge würden eine Fehlgeburt auslösen, doch das geschah nicht.
Als auch mein eigener Arzt mir das ungeheure Risiko dieser Schwangerschaft bestätigte, setzte in meinem Kopf etwas aus.
Ich wollte nicht sterben, ich wollte meine kleinen Kinder, die ich so liebte, nicht verlassen. Ich merkte, dass ich Leevi und meine Religion hasste. In der Frauenklinik hatte ich von einem Therapiezentrum für Frauen erfahren, dessen Psychologin ich nun anrief. Sie sagte, es sei mein volles Recht, die Schwangerschaft zu beenden, und bot mir eine Unterkunft an, falls ich nach der Abtreibung nicht nach Karhumaa zurückkehren konnte.
Ich wusste, dass Annes Vater in Oulu eine Privatpraxis hatte. Ich ließ die Kinder in der Obhut meiner Schwester zurück und sagte niemandem, wohin ich fuhr. Zu meiner größten Erleichterung erinnerte sich Annes Vater an mich und hatte Verständnis für meine Lage. Er schrieb mir sofort eine Über-weisung für das Krankenhaus. Er schien zu begreifen, dass ich rasch handeln musste, bevor mich der Mut verließ. Ich hätte mich bei der Abtreibung gern sofort sterilisieren lassen, doch dazu hätte ich die Zustimmung meines Mannes vorlegen müssen.
Dennoch war die Abtreibung ein entsetzliches Erlebnis. Ich wusste, dass ich eine schreckliche Sünde beging, einen Mord.
Ich verstieß gegen die Gebote meiner Religion und gegen den Willen meines Mannes. Vielleicht war es der Wunsch nach Strafe, der mich veranlasste, nach Hause zurückzukehren und zu erzählen, was ich getan hatte. Leevi verprügelte mich vor den Augen meiner Kinder und warf mich aus dem Haus, ich durfte kaum den Mantel mitnehmen. Zum Glück hatte Annes Vater versprochen, mir zu helfen. Er lieh mir das Geld für die Fahrt nach Rosberga.
Die vergangenen Wochen waren schwer für mich. Ich sehne mich nach meinen geliebten Kindern, die ich nicht besuchen darf. Meine Sünde lastet schwer auf mir, doch das Wissen, dass meine Kinder mich brauchen, hilft mir weiterzuleben.
Ihretwegen habe ich getan, was ich getan habe. Es muss einen Weg geben, sie für mich zu bekommen.
Nachdem ich Johannas Lebensgeschichte gelesen hatte, saß ich eine Weile stocksteif da. Mir war buchstäblich übel vor Wut.
Obwohl ich vorher schon einiges über Johannas Leben erfahren hatte und obwohl ich wusste, dass es Schicksale wie ihres auch heute noch gibt, selbst in Finnland, schäumte ich. Demütigung, psychische und physische Gewalt, Entfremdung vom eigenen Körper, all das war in diesen Zeilen zu lesen.
Es klopfte mit einer Präzision, die mir verriet, dass Taskinen vor der Tür stand: dreimal in exakt derselben Lautstärke und Dauer.
»Tag, Maria. Wie lässt sich das neue Jahr an?« Er gab sich betont locker, woraus ich schloss, dass er mir etwas Unangenehmes zu sagen hatte.
»Es geht so. Ich beschäftige mich immer noch hauptsächlich mit dem Fall Elina Rosberg. Ich muss wahrscheinlich nach Karhumaa, nördlich von Oulu, fahren und einen Verdächtigen vernehmen. Eine der Frauen, die an den Weihnachtstagen in Rosberga zu Gast waren, behauptet nämlich, ihr Ehemann sei in Rosberga gewesen, als Elina verschwand. Ich würde gern sein Alibi überprüfen.«
»Kann die örtliche Polizei das nicht erledigen? Oder die Kripo in Oulu?«
»Ich möchte es selbst tun.« Erst als ich das sagte, merkte ich, wie neugierig ich war, auf das Dorf Karhumaa und auf die Familie Säntti, vor allem natürlich auf Leevi Säntti.
»Da ist nur das
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