Lehtolainen, Leena
schmalgliedrige Hand vor den Mund und riss die mandelförmigen Augen weit auf.
»Was denn für Whisky?« Ihre Stimme klang heiser wie bei einer leichten Erkältung. Als ich hereinkam, war sie aufgestanden, nun ließ sie sich auf den breiten Hocker am Flügel fallen.
Ihre dunklen Haare schwangen nach vorn und verbargen sekundenlang das Gesicht, dann strich sie sie zurück.
»Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst. Hat jemand Elina mit vergiftetem Whisky ermordet?«
»Ganz so war es nicht.« Ich setzte mich auf den Klavierho-cker, der Raum war so eng, dass ich mit dem Knie fast an Niinas schlanken Schenkel stieß. »Warum bist du am ersten Weihnachtstag nach Rosberga gefahren, Niina?«
»Was hat das mit Elinas Tod zu tun?« Sie schlug ein paar kurze Dissonanzen an. »Warum ich hingefahren bin? Ich war einsam. Mein Vater ist in Frankreich, dort verbringt er den ganzen Winter, seit meine Mutter vor drei Jahren an Krebs gestorben ist. Ich hasse Weihnachten, diese künstliche Friedfer-tigkeit, diese vorgetäuschte Familienidylle. Dabei dreht sich doch alles nur um die Geschenke, um den Konsum! Ich hatte mir für die Feiertage nichts Besonderes vorgenommen, aber dann hat mich die Einsamkeit einfach überwältigt. Elina hatte einmal gesagt, nach Rosberga könnte man jederzeit kommen.
Also habe ich mir ein Taxi bestellt und bin hingefahren.«
In dem Bild, das ich mir von Elina Rosberg gemacht hatte, damals, als sie noch lebte, hatte sie ganz und gar nichts Glu-ckenhaftes an sich gehabt, doch ich konnte mir vorstellen, dass sie Niina aufrichtig willkommen geheißen hatte. Dann hatte sie vermutlich Aira gebeten, ein zusätzliches Gedeck aufzulegen, und war ins Gästezimmer geeilt, um das Bett frisch zu beziehen.
»Du musst Elina gut gekannt haben, wenn du einfach so bei ihr aufkreuzen konntest?«
»Na ja, gut gekannt … Ich habe an einigen ihrer Kurse teilgenommen. Der Körperbildkurs im letzten Herbst war mein erster.
Die Rosberga-Kurse sind … waren sehr intensiv, man lernt sehr schnell neue Leute kennen. Ich war ja auch bei dem Kurs für geistige Selbstverteidigung, auf dem du deinen Vortrag gehalten hast.«
»Ach ja?« Eigentlich hatte ich ein gutes Gedächtnis für Gesichter, aber Niina war offenbar in der Menge untergegangen, jedenfalls war sie mir nicht aufgefallen. »Was zog dich denn in Elinas Kurse?«
»Sie selbst. Sie war die beste Therapeutin, die ich je hatte. Ich habe im Dezember ja auch mit Privatsitzungen angefangen, aber
…« Niina zuckte die Achseln. Ich überlegte, welche psychi-schen Probleme sie wohl haben mochte. Immerhin hatte sie gerade angedeutet, sie wäre bereits bei mehreren Therapeuten gewesen. Nach kurzem Zögern fasste ich mir ein Herz und fragte sie.
»Depression. Verlassenheitsgefühl. Gestörtes Selbstbild. Es begann mit dem Tod meiner Mutter. Alles ging so schnell: Als der Krebs festgestellt wurde, hatten sich in den wichtigsten Organen bereits Metastasen gebildet, in der Leber, der Bauch-speicheldrüse, der Milz, in der Lunge. Drei Monate, dann war alles vorbei. Meine Welt geriet aus den Angeln. Kari, mein voriger Therapeut, hat gesagt: Die Sterne wurden aus der Bahn geschleudert, und die ganze Welt sah völlig anders aus.«
Ein Therapeut, der von entgleisten Sternen sprach … Ich musste plötzlich an Halttunen denken. Dann erinnerte ich mich an Niinas Versuch, mithilfe einer astrologischen Karte herauszufinden, wo Elina abgeblieben war. Vielleicht war das nur die Metapher einer begeisterten Hobbyastrologin gewesen. Dennoch wollte ich wissen, wer Niinas Therapeuten waren. Vielleicht konnte mir einer von ihnen sagen, ob sie potenziell aggressiv war.
»Als Erstes war ich bei der Psychologin im Ärztezentrum hier in Tapiola, aber das war langweilig. Sie hat mir nur zugehört und genickt, aber nie irgendeine Antwort gegeben. Ich bin in die Studentenpoliklinik gegangen: genau dasselbe Spiel. Dann habe ich mich mit diesen Scientologen eingelassen, das war im Sommer nach dem Tod meiner Mutter. Ich hatte kein Geld, um den ersten Kurs zu bezahlen, und wollte einige Aktien verkaufen, die ich von meiner Mutter geerbt hatte, aber mein Vater hat sich quergestellt. Zum Glück. Von denen wird man doch nur ausgenutzt.«
Ich nickte und dachte an den Dschungel von Pseudohelfern, die kranke und einsame Menschen einfingen und ihnen Schönheit, Gesundheit und Geld versprachen. Mir war es gleich, wie jemand glücklich wurde, mochte er ruhig an freundlich gesinnte UFOs oder heilende Steine
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