Leibhaftig
Abständen nach dem Kellerschlüssel verlange, angeblich, um wieder einmal am Schaltschrank im Keller einen defekten Telefonanschluß zu reparieren. Die beiden Damen aber, Schlüsselbewahrerinnen für die Unterwelt, wissen wie jeder im Haus, daß gar kein Telefonanschluß defekt ist – oder ist Ihrer vielleicht kaputt? Na also. Dies haben sie dem wortkargen, nicht unhöflichen Kollegen, der trotz oder eben wegen seiner piksauberen nagelneuen Montur nie und nimmer ein Telefonmonteur von der Deutschen Post ist, ins Gesicht hinein gesagt, und sie wollen ihn sogar gefragt haben – denn was hatten sie zu verlieren? Nichts –, ob er wieder mal bei uns die Tonbänder auswechseln müsse. »Die Tonbänder« waren die phantasievolle Reaktion der Cousinen auf jenes versiegelte blaßgrüne Metallkästchen in einem der vorderen Kellerräume, zu dem, wie wir uns überzeugt hatten, nur eine einzige Leitung führte, betrüblicherweise gerade die von unserem Telefon, und von dem natürlich auch nur die eine Leitung wieder wegführte, um sich beiläufig, Unschuld heuchelnd, nach wenigen Metern mit dem dicken Kabelbündel zu vereinigen, das, von den anderen Telefonen des Hauses kommend, in den großen, jedermann zugänglichen Schaltkasten mündete. Zwar glaubten wir nicht, daß es »Tonbänder« waren, die das kleine Metallkästchen verbarg, doch fanden wir es nützlich, vonden Boutique-Damen – die eine war hellblond, die andere rabenschwarz, beide im mittleren Alter, sie hatten sich gut gehalten – zuverlässig über die Besuche des Monteurs unterrichtet zu werden, die uns Gesprächsstoff lieferten bis hin zu der Frage, ob sie den Kellerschlüssel vielleicht deshalb immer brav von den Damen einforderten, damit die uns davon berichten konnten. Von solcher Vorgehensweise hatte man gehört.
Ich muß also, da ich ja hier unten bin, mich weiter in das Gewirr der Kellergänge vorwage denn je, bei den Boutique-Damen gewesen sein, muß mit Bedauern vernommen haben, daß sie demnächst auch den Verkauf jenes Badeöls einstellen würden, das ich, obwohl es zur Mangelware gehörte, bisher immer zuverlässig bei ihnen hatte beziehen können. Ungern, hatte ich gesagt, stellte ich mir meine tägliche Dusche ohne dieses Öl vor, worauf die Schwarze ihre blonde Cousine verschwörerisch gefragt hatte: Was meinst du, Marlies, sollen wir?, und Marlies zustimmend die Augendeckel fallen ließ: Jeanette sollte. Fünf Fläschchen Yvette-Kamillen-Badeöl müssen einzeln für mich eingewickelt und in ein Plastetäschchen verstaut worden sein, auf dem in geschmackvollen goldunterlegten Schriftzügen »Boutique Jeanette« zu lesen war und das ich, wie ich mich genau erinnere, anfangs noch in der Hand trug. Ich muß es irgendwo verloren oder abgestellt haben, während ich, mich mit der Fußspitzevortastend, in den nächsten dunklen Kellerraum vordringe.
Die Glühbirne muß hier vor langer Zeit ausgefallen sein, niemand, auch kein Telefonmonteur, verirrt sich je hierher, seit vielen Jahren hat hier niemand Licht gebraucht. Allerdings fliegt, oder wie soll ich die Bewegungsart nennen: gleitet? das Reagenzglas mit dem Homunkulus mir voran, biegt um Ecken, die ich nicht sehe, lockt mich weiter in Räume, in denen manchmal ein wackliger Lichtschalter noch funktioniert, eine Glühbirne, tief verstaubt, die ihren Dienst wohl in der Kriegs- oder in der frühen Nachkriegszeit angetreten hat, ein trübes schwankendes Licht absondert. Die anstrengenden, über viele Monate sich hinziehenden Rekonstruktionsmaßnahmen in den oberen Teilen des Gebäudekomplexes sind nicht bis ins Unterirdische vorgedrungen. Es gebe, wie der Bauleiter mir vertraulich mitgeteilt hatte, keine Vermessung, keine Karte, ja: nicht einmal eine individuelle Kenntnis des ausgedehnten unterirdischen Labyrinths, an das unser Kellersystem zweifellos angeschlossen ist. Wer sich darin verirre – so wieder unser Bauleiter, ein allerdings zögerlicher, allem Hauptstädtischen abgeneigter Mecklenburger –, dem gnade Gott.
Es zeigt sich, daß jeder Raum in weitere Räume mündet, die ich noch nie betreten habe, hinten in einer Ecke eine Lattentür, die sich nur schwer aufdrücken läßt, weil sie am Boden schleift, ich mußes, wenn auch zaghaft, tun, weil ich ja jenen Keller finden muß, in dem der Säugling ermordet wurde. Nach undurchschaubarem Muster sind die Keller ineinandergeschachtelt, jetzt wate ich im Staub, Haufen uralter Abfälle in den Ecken, einmal eine Ratte vor meinen Füßen, in
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