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Leichenblässe

Titel: Leichenblässe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Beckett
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Wenn du
mich willst, hier bin ich!
    Doch schon bald hatte mich der Mut verlassen. Als ich an einem Imbiss vorbeikam, der noch geöffnet hatte, ging ich hinein.
     Es gab nur Burger und Grillhähnchen, aber das war mir jetzt egal. Ich bestellte blindlings und gab der Kellnerin die Karte
     zurück.
    «Wollen Sie was zu trinken?»
    «Nur ein Bier, bitte. Nein, warten Sie. Haben Sie Bourbon? Blanton’s?»
    «Wir haben Bourbon, aber nur Jim oder Jack.»
    Ich bestellte einen Jim Beam auf Eis. Nachdem er serviert worden war, trank ich langsam einen Schluck. Der Bourbon brannte
     mir angenehm in der Kehle und löste den Klumpen |301| auf, der sich dort gebildet hatte.
Auf dich, Tom. Wir werden
den Scheißkerl bald schnappen, versprochen.
    Einen Augenblick lang glaubte ich mir fast.
     
    Die Riemen und Zahnräder schimmern im Licht der Lampe
. Du reinigst sie nach jedem Mal; wachst das Leder, bis es
weich und geschmeidig ist, und polierst die Stahlteile, bis
sie glänzen. Eigentlich ist es nicht nötig. Es ist eine Angewohnheit
, das weißt du genau. Aber du genießt dieses Ritual.
Manchmal glaubst du tatsächlich, du könntest den Bienenwachsduft
der Sattelpolitur riechen. Wahrscheinlich ist es
nur eine vage Erinnerung, aber es beruhigt dich trotzdem.
Außerdem haben diese Vorbereitungen etwas Zeremonielles.
Sie erinnern dich daran, dass du ein höheres Ziel verfolgst,
dem du mit jedem Mal näherkommst. Und beim nächsten
Mal wirst du es erreichen.
    Das kannst du spüren.
    Während du das Leder liebevoll blank reibst, sagst du dir
zwar, dass du dir nicht zu große Hoffnungen machen darfst,
aber die Vorfreude kannst du nicht verleugnen. Du spürst
sie vorher jedes Mal, wenn alles möglich ist und die Enttäuschung
noch in der Zukunft liegt. Aber dieses Mal fühlt es
sich anders an. Intensiver.
    Besonders.
    Die Haut an die Windschutzscheibe zu klemmen war ein
riskanter Schachzug gewesen, aber er hat sich gelohnt. Da
sie irgendwann sowieso kapiert hätten, was du vorhast, war
es besser, den Zeitpunkt selbst so zu bestimmen, dass du dir
ihre Reaktion zunutze machen kannst. Du hast noch immer
die Kontrolle, das ist die Hauptsache. Wenn sie erkennen, was
wirklich vor sich geht, wird es zu spät sein, und dann   …
    Und dann   …
    |302|
Das wagst du dir noch nicht auszumalen. So weit kannst
du nicht vorausschauen. Du konzentrierst dich lieber auf die
nächste Aufgabe, auf das nächste Ziel.
    Es wird nicht mehr lange dauern.
    Du drehst behutsam an der Winde und beobachtest, wie
die Zahnräder einem Uhrwerk gleich ineinandergreifen und
den Lederriemen zusammenziehen. Zufrieden hauchst du
auf das Metall, um es noch ein letztes Mal zu polieren. Verzerrt
und verschwommen schaut dich dein Spiegelbild an.
Als du darauf starrst, kommen komischerweise verstörende
Gedanken in dir auf, die du aber nicht ganz greifen kannst.
Dann wischst du das Spiegelbild mit dem Lappen weg.
    Nicht mehr lange, sagst du dir. Alles ist vorbereitet. Die
Kamera ist geladen und in Position und wartet nur auf ihr
nächstes Objekt. Die Uniform ist gebürstet und gereinigt.
Okay, nicht gereinigt, aber sauber genug, um auf den ersten
Blick zu bestehen. Und das genügt dir.
    Es ist alles eine Frage des Timings.

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    |303| KAPITEL 19
    Am nächsten Morgen saß ich gerade bei meinem zweiten Kaffee im Restaurant des Hotels, als Gardner anrief.
    «Ich muss mit Ihnen reden.»
    Da er mir gesagt hatte, dass ich auf meinem Zimmer bleiben sollte, warf ich einen schuldbewussten Blick auf die vollbesetzten
     Tische. Tatsächlich hatte ich kurz überlegt, mir das Frühstück hochbringen zu lassen, zu dieser Tageszeit war es mir aber
     unnötig erschienen. Wenn York mich am helllichten Tag aus dem Hotel verschwinden lassen könnte, würde mich sowieso nichts
     mehr retten.
    «Ich bin im Restaurant», sagte ich.
    Ich konnte Gardners Missbilligung durch die Telefonleitung spüren. «Bleiben Sie dort. Ich bin gleich da», sagte er und legte
     auf.
    Ich nippte an meinem kalt gewordenen Kaffee und fragte mich, ob dieses das letzte Frühstück war, das ich in Tennessee essen
     würde. Ich hatte mich den ganzen Morgen unwohl gefühlt. Ich hatte schlecht geschlafen und war mit einer Schwermut aufgewacht,
     die ich zuerst nicht einordnen konnte. Dann erinnerte ich mich daran, dass Tom tot war, und einen Augenblick später fiel mir
     der Hautfetzen auf meiner Windschutzscheibe ein.
    Ich hatte schon bessere Tagesanfänge erlebt.
    Gardner konnte nicht weit entfernt gewesen

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