Leichendieb
Information sei hilfreich, damit sie vorankamen und die Leiche im Fluss suchten oder doch zumindest allmählich den Gedanken, dass ihrSohn gestorben war, annehmen würden, aber merkwürdigerweise zogen sie diese Möglichkeit zu keinem Zeitpunkt auch nur in Betracht. Hier ruft immer so ein Irrer an, sagte Dalva eines Morgens. Ein Psychopath.
Und so waren meine Hinweise nur eine weitere Zutat in dem Alptraum der Familie. Sie hörten meine Worte, und am folgenden Tag glaubten sie nach wie vor, dass ihr Sohn gefunden werden würde. Es war egal, dass der Sohn in einen Fluss voller Piranhas gefallen war. Das bedachten sie überhaupt nicht. Die Piranhas. Seit Jahrzehnten züchteten sie Vieh, waren es leid, Rinder an die Piranhas in eben dem Fluss zu verlieren, in den ihr Sohn gestürzt war, doch über diese unbedeutende Tatsache sahen sie hinweg.
Einen Monat und eine Woche nach dem Unfall erhielt ich mein erstes Gehalt und ging mit Sulamita Pizza essen, in einem Restaurant in der Nähe des Aussichtspunkts auf dem Morro de Santo Inácio, von wo aus man in der Ferne ein Stück des Rio Paraguay sehen konnte.
Der Abend war warm, schwül, wir setzten uns an einen Tisch nach draußen, um die Landschaft zu genießen.
Sulamita war seit einiger Zeit leicht bedrückt, und ich glaubte, ihre Niedergeschlagenheit hätte mit meinem Widerwillen dagegen zu tun, ihrer Familie vorgestellt zu werden. Seit einigen Wochen bestand sie darauf, und ich lavierte wegen Rita etwas herum. Nicht, dass ich Sulamita nicht gerngehabt hätte. Aber mit Rita war es etwas anderes. Rita war prickelnd wie ein Wasserfall, alles an ihr war Saft und Kraft, ultrafeminin, nackte Beine, lauter Ringe und Ketten und Holzpantinen, ich war ganz verrückt nach all dem.
Carlão glaubte, dass sie Kunden besuchte, Sulamita dachte,ich würde Überstunden bei den Berabas machen, und wir fuhren in ein Motel in der Stadt, ließen die Badewanne volllaufen, legten uns hinein, vögelten und kühlten uns von der Hitze ab.
Eines Tages, wir lagen umschlungen im Bett, fragte ich sie, warum sie die Beziehung zu Carlão nicht beendete, wenn sie so schlecht war. Ich glaube, zu der Zeit dachte auch ich an etwas Ernsthafteres mit Rita. Warum? Warum wohl?, fragte sie, weil ich ein Herz habe. Wegen mir hat Carlão nach jahrelanger Ehe seine Frau und zwei Töchter sitzenlassen, und jetzt, wo ich mit dir zusammen bin, mich in dich verliebt habe, soll ich einfach Ciao sagen? So mir nichts, dir nichts? Nein, so bin ich nicht. Ich will es behutsam machen, erklärte sie. Ohne irgendjemanden zu verletzen.
Nun verstand ich, wie Rita drauf war, und nahm den Fuß vom Gas. Eigentlich war mir klar, dass es an der Zeit war, die Affäre zu beenden. Aber das war gar nicht so einfach. Wir hatten einen irren Draht, sie verstand es, mich an sich zu binden. Klar, wir stritten uns auch viel. Hauptsächlich wegen Sulamita. Oder wegen Carlão. Ich wollte Sulamita nicht versetzen, und das ärgerte Rita. Mich hingegen regte Carlão auf. Manchmal rief er dreimal hintereinander an und stellte blöde Fragen. Eine verdammte Nervensäge. Du bist noch nicht mal verheiratet und benimmst dich schon wie ein Ehemann, sagte Rita. Wir stritten uns, sie rief an, ich nahm nicht ab oder umgekehrt, ich bettelte, sie bettelte, beide sagten wir ja und nein, nein und ja, dann vertrugen wir uns und stritten wieder, es ging von vorne los, wir beleidigten uns, und dann schlossen wir erneut Frieden.
Richtig hoch kochte es an einem Donnerstag, als ich mitCarlão ein Bier trinken ging und er mir erzählte, dass er mit Rita ein Kind bekommen würde. Ich war stinksauer.
An dem Samstag in der Pizzeria, bei dieser Affenhitze ohne den geringsten Lufthauch, willigte ich schließlich ein und sagte zu Sulamita, sie könne das Mittagessen bei ihrer Familie für Sonntag verabreden.
Sie gab mir einen Kuss und sagte, dass sie mich liebte. Aber sie war noch immer traurig, das merkte ich. Traurig und verliebt.
Am Sonntag wachte ich auf, entschlossen, mein Leben wieder ins Lot zu bringen. Rita rief an, und demonstrativ sagte ich es ihr, ich werde Sulamitas Familie kennenlernen, vielleicht verloben wir uns. Mach dich nicht lächerlich, antwortete Rita und legte auf, ehe ich zu ihr sagen könnte, lächerlich sei sie, mit diesem Kindergartengetue.
Als ich mich zum Ausgehen fertig machte, klopfte Moacir an meine Tür. Seit einer Woche versuchte ich mit ihm zu reden, um zu erfahren, was zum Teufel er sich dabei dachte, dass er seine Werkstatt nicht
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