Leichenfresser - Thriller
Klappe halten, aber er tat es nicht. Stattdessen versuchte er, das Getuschel zu ignorieren, und spähte den Hügel hinab. Er bemerkte, dass weit unten im alten Teil des Friedhofs ein weiterer Grabstein in die Erde eingesunken war. An dem Tag, als Doug seine Karte präsentiert hatte, waren ihm zwei andere im selben Zustand aufgefallen. Jener Tag schien eine Ewigkeit zurückzuliegen, obwohl es sich in Wirklichkeit um weniger als eine Woche handelte. Durch den Nieselregen ließ es sich zwar schwer erkennen, aber es hatte den Anschein, als wären neben den eingesunkenen Grabsteinen noch einige weitere auf den Rasen gekippt. Barrys Vater ließ den Friedhof verkommen. Was dem Mann trotz seiner Unzulänglichkeiten nicht ähnlich sah. Selbst wenn er irgendwo betrunken herumlag, schwang er die Peitsche und sorgte dafür, dass sein Sohn für ihn einsprang. Vielleicht hatte er bloß noch keine Zeit gefunden, sich um die einsinkenden Grabsteine zu kümmern.
Der Tross der Trauernden blieb stehen. Der Sarg wurde aus dem Leichenwagen geladen, während sich um das offene Grab ein Kreis bildete. Timmy stockte der Atem in der Kehle.
Barry und sein Vater hatten die Grube an diesem Morgen ausgehoben. Den Rand des Lochs säumte ein Messinggestell, ein weißes Tuch bedeckte es. Daneben waren ein Haufen frischer rötlicher, lehmiger Erde angehäuft und einige Rasenstücke. Tiefe Baggerspuren zerfurchten das Gras, aber Clark Smeltzer hatte die Maschine zurück in den Werkzeugschuppen gebracht, damit ihr Anblick bei der Beerdigung nicht störte.
Dies war sie also, die letzte Ruhestätte seines Großvaters – eine längliche, rechteckige Öffnung im Boden unmittelbar neben seiner Großmutter. Ab jetzt würden sie beide jedes Mal, wenn Timmy zum Spielen herkam, in der Nähe sein. Die morbide Eigenartigkeit der Vorstellung entging ihm keineswegs. Dieses Gelände stellte sowohl seinen Spielplatz als auch die Begräbnisstätte seiner Großeltern dar. Wären da nicht der Bunker und der immense Stolz gewesen, den Timmy darüber empfand, ihn gebaut zu haben, hätte er Barry und Doug beigepflichtet, dass sie zuvor recht gehabt hätten und künftig öfter in Bowmans Wald spielen oder sich irgendwo anders mit einem Baumhaus begnügen sollten.
Nach dem Friedhofsteil der Trauerfeierlichkeiten trottete Timmy mit seinen Eltern nach Hause. Sie gingen schweigend vor sich hin, sprachen kein Wort, waren emotional und physisch ausgelaugt.
Zum ersten Mal in seinem Leben spürte Timmy zwei für ihn neue Empfindungen.
Er fühlte sich alt.
Und er fühlte sich sterblich – nun sogar noch mehr als bei den Gelegenheiten, wenn er zwischen den Gräbern von Kindern in seinem Alter spielte.
Beide Empfindungen gefielen ihm ganz und gar nicht.
Sein Großvater schlief nicht – er war tot. Das stand fest. Früher oder später starb jeder.
Und eines Tages würde auch Timmy an der Reihe sein.
Der Friedhof hatte einen neuen Dauerbewohner.
Nachdem alle anderen gegangen waren, kehrten Barry und sein Vater nach Hause zurück, legten ihre Anzüge ab, schlüpften stattdessen in Arbeitskleidung und begaben sich wieder zum Grab. Langsam versenkten sie Dane Gracos Sarg mithilfe eines Flaschenzugsystems in das Loch. Der Sarg erwies sich als schwer – Barrys Arme und Rücken schmerzten hinterher. Sein Vater gestattete ihm keine Pause, als sich die Kiste am Boden des Grabs befand. Stattdessen musste Barry damit beginnen, Erde in die Grube zu schaufeln, während sein Vater den Bagger holte. Die Wolken hatten sich endgültig verzogen, die Temperatur stieg. Es wurde eine harte, verschwitzte Arbeit und Barry war froh, als der Abend näher rückte. Hätte die Sonne hoch am Himmel gestanden, statt am Horizont unterzugehen, wäre es noch heißer gewesen. An seinen schwieligen Händen bildeten sich unter den Arbeitshandschuhen aus Leder Blasen.
Barry hasste das – er hasste es, für seinen Vater zu arbeiten, sich jeden Tag wie ein Sklave abzuplagen, zu mähen, zu buddeln und zu rechen, während seine Freunde den Sommer genossen. Kein anderer Vater ließ seine Söhne so schuften. Randy Graco zwang Timmy nicht, ihn tagtäglich zur Papierfabrik zu begleiten. Warum sollte Barry den ganzen Sommer lang dazu verdammt sein, solche Arbeiten zu verrichten, nur weil sein Vater ein Säufer war? Häusliche Pflichten nannte sein Vater das. Barry wusste über häusliche Pflichten Bescheid und das fiel nicht darunter. Timmy hatte häusliche Pflichten – im Garten Unkraut jäten und den Keller
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