Leichenschrei
und ich waren befreundet. Sie hat mir geholfen, die Sache mit dem Restaurant aufzuziehen. Aber soll ich ehrlich sein? Ich mochte sie nicht besonders. Hauptsächlich deshalb, weil sie immer alles so manipuliert hat, wie es ihr in den Kram passte. Sie war auch diejenige, die Annie, die fröhliche, lustige Annie, in die heilige Annie der Märtyrerinnen verwandelt hat.«
»Wie das?«
»Die Geschichte ist zu lang, um sie hier und jetzt zu erzählen.«
»Ich habe jede Menge Zeit.«
Carmen schüttelte den Kopf.
»Was ist mit Drew Jones? Laura muss ihn doch total wütend gemacht haben.«
Sie fuhr mit den Händen über die Seiten ihres Overalls. »Staubig. Zeitverschwendung. Schnüffeln Sie nur weiter. Ich hole jetzt Tiggers Fressen und seine Spielsachen.«
Da war sie wieder, die Mauer des Schweigens, sobald ich auf Drew Jones zu sprechen kam.
Mein Ärger verflog, als ich Lauras Bücher durchging. Sie hatte so ziemlich alles gesammelt, von alter Kunst über billige Liebesromane bis hin zu Genforschung und Computern. Eine Reihe war den Indianern Amerikas gewidmet, eine andere dem Thema New Age. Vielseitig, um es mal so zu sagen.
Im Keller fand ich wenig außer Koffern mit alten Kleidern, Werkzeug und etwa einer Billion Schraubgläsern mit Gemüse, das sie anscheinend eingemacht hatte. Ich ging wieder nach oben und weiter in den ersten Stock.
Die beiden Schlafzimmer und das Bad waren unberührt.
Das legte die Vermutung nahe, dass Laura sie nur als Gästezimmer benutzt hatte.
Als ich wieder ins Erdgeschoss kam, folgte ich dem kurzen Flur und warf einen Blick ins Bad. Noch mehr Durcheinander. Deo, Zahnpasta und Bürste lagen auf der Ablage, und eine Rolle Toilettenpapier lag neben dem Klo auf dem Boden. Anscheinend war Laura an jenem Morgen in Eile gewesen, was vermutlich typisch für sie war. Schon komisch, wie mir beim Anblick der halb ausgedrückten Zahnpastatube die Tränen in die Augen traten.
Ich sah sie deutlich vor mir. Ihr langes Haar wehte, während sie im Haus herumrannte und sich für die Arbeit fertig machte. Hätte sie etwas anders gemacht, wenn sie es gewusst hätte?
Der Mülleimer war leer. Zweifelsohne hatte die Polizei den Inhalt mitgenommen. Nachdem ich einen Blick in den Medizinschrank und unters Waschbecken geworfen hatte, ging ich zu ihrem Schlafzimmer.
Laura hatte es mit weißen Korbmöbeln ausgestattet und das benachbarte Zimmer in ihr Atelier verwandelt. Genussvoll atmete ich den Geruch nach Farbe und Terpentin ein. Lauras Staffelei stand an einem der Fenster. Die Sonne schien auf ein impressionistisches Ölgemälde, das zwei Mädchen zeigte, Jugendliche mit großen Hüten und hübschen Folklorekleidern, die sich gegenseitig im Arm hielten. Laura und Annie.
Sie trugen beide den gleichen Gürtel, der mit dem Jugendstilgürtel identisch war, den ich an Joy gesehen hatte. Laura konnte sehr großzügig sein, und es hätte mich nicht überrascht, wenn sie den Gürtel ihrer besten Freundin gegeben hätte. Vielleicht hatte aber auch jedes der Mädchen einen, genau wie unsere Mädchenclique die gleichen Sachen besessen hatte. Diese Vertrautheit fehlte mir.
Das Gemälde war wunderschön, im Stil von Monet gemalt und abstrakter als Lauras Wandgemälde im Sender. So ein Talent – ausgelöscht.
Die Forensiker hatten schwarzen Puder für die Fingerabdrücke auf einem alten Marmeladenglas hinterlassen, in dem einige Pinsel einweichten. Ein weiterer Pinsel, einer mit einem grünen Stiel und getrockneter Farbe, lag neben der Staffelei.
Genug Stoff zum Nachdenken, während ich das Bücherregal im Atelier durchging. Keine Zettel oder Zeichnungen fielen heraus, als ich Dutzende von Büchern aufschlug und wieder schloss. Bücher über Tarot, Gesundheit und die Geschichte des Staates Maine. Ich stocherte mit einem Staubwedel unter ihrem Bett herum, durchwühlte ihre Schubladen und suchte in Malunterlagen und der Schmuckschatulle.
Ich ging den Stapel Rechnungen auf ihrem Schreibtisch durch und durchforstete ihren Kleiderschrank auf der Suche nach Kleidern, die nicht ihr gehörten.
Wo steckte bloß der reißerische Brief ihres geheimen Lovers? Das perverse Sexspielzeug? Die Notiz, in der die Niedertracht eines bekannten Politikers bloßgestellt wurde?
»Und?«, fragte Carmen, als ich wieder in die Küche trat.
»Eine vielschichtige Persönlichkeit.«
»Stimmt.« Carmen lächelte, als sie sich die große Tasche mit Tiggers Katzenfutter unter den Arm klemmte.
»Das scheint irgendwie nicht zu passen, der
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