Leichentuch: Band 2 der Blutdrachen Trilogie (German Edition)
eigenen Standbild. Selbst Drachen sind gegen den Blick der Gorgo nicht gefeit … zu unserem Glück! Wir hätten dem Untier nichts mehr entgegenzusetzen gehabt. Nun, es gelang!“
„So ist der Drache also tot?“ Halef schauderte und ihm wäre wohler gewesen, wenn der Alte den Kopf wieder verhüllt hätte. Hassan aber griff erneut in die Kiste. Er zog eine Tafel hervor, aus dünnem schwarzen Stein geschnitten und kostbar mit Gold und Steinen umrandet.
„Der Drache ist nicht tot. Er ist anders als es Menschen sind. Er ist ein übernatürliches Wesen, nicht von dieser Welt. Ein Mensch oder Tier, das in die Augen der Gorgo sieht, versteinert und ist damit unwiederbringlich und endgültig tot. Der Drache aber … ist nur gebannt! Er schläft, könnte man sagen. Aber kann er wieder erweckt werden? Damals dachten wir, dass dies nicht geschehen konnte.
Wir glaubten den Drachen ein für alle Mal vernichtet, doch diese Tafel belehrte mich eines Besseren. Wir hätten den versteinerten Drachen zerschlagen müssen, die Steinbrocken zu Sand und Staub zerstoßen und zermahlen und in alle Winde verstreuen müssen. Aber das haben wir nicht, zu meinem Bedauern. Und dann ging der Ort verloren, an dem der versteinerte Körper des Drachen versteckt worden war. Seit diesem Tag, an dem der Hüter des Drachenschlafs aus dem Leben schied, ohne sein Wissen an seinen Sohn weitergegeben zu haben, seit diesem unglücklichen Tag sucht der Orden der Drachenkämpfer danach. Und Ihr, Halef Omar, scheint das Geheimnis nun gelüftet zu haben!“
Halef Omar neigte seinen Kopf. Jetzt erst wurde ihm die Bedeutung der Schriften in den Bodenplatten des alten Turms in ihrer ganzen schrecklichen Konsequenz bewusst. „Ich glaube, dass Ihr ausersehen seid, Halef Omar, so wie dies auch mein alter Freund, der Pascha Mohammed Sabessa geglaubt hat. Deshalb hat er Euch zu mir gesandt! Ihr werdet mich begleiten, Ihr müsst mich zu diesem Turm bringen, von dem Ihr berichtet habt.“ Halef Omar war gar nicht wohl in seiner Haut. Er war sicher kein Feigling, aber gegen einen Drachen zu kämpfen war etwas, das er sich in seinen wildesten Träumen nicht hätte ausmalen können. Selbst der Pfähler hatte ihn nicht geängstigt, aber da hatte er auch noch geglaubt, Drachen und Gorgonen wären Ausgeburten einer blühenden Fantasie …
„Nun, bevor wir unsere Reise antreten, muss ich Euch noch so einiges lehren. Auf der Reise können wir Eure Ausbildung dann fortführen, aber erzählt mir zuerst noch einmal, wie Ihr die Schriften gefunden habt, Halef Omar. Ihr sagtet, dass Ihr nur einen Teil der Bodenplatten beschriftet fandet, erinnere ich das richtig?“ Halef bestätigte den alten Mann. Den Rest der Nacht saßen sie zusammen und redeten. Hassan-i-Sabbah hatte viele Fragen und Halef Omar hatte nicht minder viele. Erst als die Sonne am Horizont hochstieg, begaben sie sich zur Ruhe. Es war der Vernunft geschuldet, denn nach Schlaf war keinem der beiden so unterschiedlichen Männer.
13. Kapitel
Vlad Draculea grübelte seit dem Vorfall einige Nächte zuvor über diese unglaubliche Frau nach. Die wunderschöne Bluttrinkerin faszinierte und gruselte ihn zugleich. Sie machte ihm Angst, ihm, der Tausende Türken hatte pfählen lassen! Dabei hatte er keinen vernünftigen Grund, sie unehrenhafter Gedanken zu bezichtigen. Hatte sie ihm nicht zweimal schon das Leben gerettet, ohne auch nur den geringsten Lohn dafür zu erwarten? Weshalb zweifelte er an ihr? Nun, sie war ein Vampir. Aber ihr Verhalten war ehrenhafter als das der meisten anderen Christenmenschen, die er kannte. Und doch …! Irgendetwas in ihm warnte ihn vor dieser Frau. Sie würde sein Ende bedeuten, das fühlte er.
Aber jetzt hatte er keine Zeit mehr, seinen finsteren Gedanken nachzuhängen. Er war auf dem Weg hinunter in die große Halle unter dem Turm von Poenari. Ein Ordensbruder war angekommen, Leopold von Segescin. Der Mann hatte einen ebenso hervorstechenden Ruf wie er selbst. Vor seinem Namen zitterten nicht nur die Türken. Der Kriegsherr war ohne Entourage gereist. Nur er und ein Begleiter waren ihm gemeldet worden. Vlad hatte sofort seine Späher in die Umgebung geschickt, während er seinen Gästen Speise und Trank bringen ließ, bevor er selbst sie begrüßen ging. Die Späher konnten keine wartende Horde von Kriegern oder etwas anderes finden und den erfahrenen Zigeunern wäre nichts entgangen.
Von Segescin erhob sich, als Vlad Draculea den Saal betrat. Die Männer kannten einander aus
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