Leichentuch: Band 2 der Blutdrachen Trilogie (German Edition)
wie ich schon sagte, wir mussten etwas dalassen. Wir hatten einen Preis zu zahlen.“
Der Schwarzgekleidete brachte Hassan-i-Sabbah fünf Becher mit blutrotem Wein. Bisher hatte Halef Omar den Alten und die Assassinen, die ihm folgten, immer nur Wasser oder Tee trinken sehen, niemals Wein. „Wir ließen aus dem Sternenstein ein Schwert schmieden, das den Drachen töten sollte. Wir wählten aus unserer Mitte den Stärksten und Geschicktesten und gaben ihm das Schwert, damit er den Drachen tötete. Aber als unser Kämpfer die Klinge gegen den Drachen erhob zersprang sie beim ersten Schlag, als sie den Leib des Drachen berührte. Wir hatten versagt. Wir hatten sogar noch mehr versagt, als wir ahnten. Wir hatten den Preis vergessen, den wir zahlen mussten. Es dauerte noch eine Weile, bis wir es merkten. Wir hatten etwas in der Anderwelt zurückgelassen, als wir das Sternenmetall mitnahmen. Ich erfuhr als Erster, was es bedeutete, den Preis zu zahlen.“
Hassan-i-Sabbah erhob sich und warf den Umhang ab, den er noch immer um seine Schultern trug. Die Wunden, die ihn noch wenigen Momenten gezeichnet hatten, waren verschwunden. Hassan zog das Wams aus, dann Stiefel und Hosen. Schließlich stand er nur mit einem Schurz um die Lenden bekleidet vor dem Lagerfeuer. „Wir hatten unsere Seelen in der Anderwelt zurückgelassen. Was machte das aus uns? Nun, ich will es Euch zeigen.“ Hassan-i-Sabbah schloss die Augen.
Er hob die Arme und atmete tief ein. Ein Schauer lief über seinen muskulösen Körper. Hassan beugte sich nach vorn. Er schien zu wachsen, sich zu verändern. Halef Omar saß mit weit aufgerissenen Augen da und starrte den Alten an. Etwas in ihm wollte fliehen, wegrennen, davonlaufen, doch etwas anderes ließ ihn gebannt zusehen, wie eine Ratte, die eine Schlange anstarrt, obwohl sie weiß, dass diese ihr Ende bedeutet.
Hassan-i-Sabbah veränderte sich weiter und wand sich unter Schmerzen. Ein letztes Aufbäumen, dann war die Veränderung abgeschlossen. Vor Halef Omar stand ein Tier-Mensch wie aus den griechischen Legenden. Oberhalb des Brustkorbs war noch immer Hassan-i-Sabbahs Gesicht, auch seine Arme, doch diese saßen auf dem Leib eines Löwen. Aus dem Rücken des Wesens ragten zwei gefiederte Schwingen von irdener Farbe. „Das ist aus mir geworden, Halef Omar, und das bleibe ich, bis ich meine Seele wiedererlangt habe. Aber ich kann nicht in die Anderwelt. Ich habe es oft versucht, aber die Anderwelt lässt mich nicht hinein. Ich habe es versucht, wieder und wieder, doch sie öffnet sich nicht. Nicht für mich.“
Halef Omar war heiß und kalt zugleich. Er wusste nicht, was er tun sollte. Das Ganze war unglaublich! Aber es war so, wie es schien. „So beschloss ich, den Orden der Assassinen zu gründen und seither versuche ich, die Drachen zu bekämpfen, denn sie sind meine wahren Feinde. Und nun frage ich Euch, Halef Omar aus Konstantinopel, werdet Ihr mit mir gegen die Drachen kämpfen? Ich würde mich geehrt fühlen!“ Das Wesen machte eine angedeutete Verbeugung. Halef Omar rasten die Gedanken durchs Hirn. Was auch immer das Wesen da vor ihm sein mochte, so war es mit Sicherheit ein Wunder und es war nicht bösartig, wie es ihm schien. „Ich … ja, ich werde mit Euch gehen!“ Hassan-i-Sabbah breitete seine Flügel aus und nickte leicht. Er winkte den Assassinen zu sich und hieß ihn, die anderen zu holen. Hassan nahm ein Messer aus dem Gürtel, den er abgelegt hatte und ritzte seinen Arm. Ein paar Tropfen Blut traten aus der Wunde. Vorsichtig ließ er in jeden der Becher einen Tropfen seines Blutes fließen. Gebannt sah Halef ihm zu. Was hatte das Wesen Hassan-i-Sabbah vor?
Die Assassinen traten zu dem Mischwesen, das der Alte vom Berg nun war. Hassan reichte dem ersten einen Becher des Weines. Halef Omar bemerkte erst beim zweiten Blick, dass der Mann splitternackt war. Er hob den Becher an die Lippen und trank den Inhalt in einem Zug leer. Ein Zittern lief durch den muskulösen Körper des Mannes, wurde stärker, schneller, dann sah es aus, als würde Halefs Sicht unscharf. Ein schneller blick zur Seite zeigte Halef aber, dass es nicht an seinen Augen lag, denn er konnte alles ausgezeichnet sehen. Nur der Assassine war verschwommen, als sehe Halef durch milchiges Glas.
Dabei veränderte sich der Umriss des Mannes, bis das Zittern nachließ und an der Stelle des Menschen ein Wesen dastand, das aussah, als habe ein Wolf versucht, sich als Mensch zu verkleiden. Das Wesen knurrte und machte
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